Die Straße der Patrioten

Dieser Tage unternahm ich mit dem Hund eine Wanderung im Straberger Wald. Der gar nicht der „Straberger“ Wald ist, sondern der Mühlenbusch, welcher hinwiederum den südlichsten Abschnitt des Knechtstedener Waldes darstellt. Das Dorf Straberg, dessen Pech ist, vor Längerem der kotzfleckförmigen Stadt Dormagen (Kenner sagen „Dormagendarm“…) zugeschkagen woirden zu sein, grenzt an ebendiesen Busch. Folgerichtig heißt die Straße, die aus dem Ort in den Wald führt auch „Mühlenbuschweg“. Dortselbst lebte ich im Jahre 1977 in einer Wohngemeinschaft (kurz: WG). Die Greise unter den Lesern werden sich daran erinnern, dass eine WG damals für Otto Normalfamilie quasi Sodom und Gomera in einer Person war. WGler waren entweder faule Stundenten oder verschlagene Terroristen. Wir waren weder noch. Tatsächlich zeichnete sich unsere WG dadurch aus, dass alle sieben Insassen ihre Brötchen mit ehrlicher Arbeit verdienten. Was aber den Dorfkern, der sich aus den damals noch handelsüblichen, niederrheinsch-dumpfen Rübenköppen zusammensetzte, nicht daran hinderte, von unserer kleinen Gemeinde als „diesen Studenten“ zu reden. Okay, wir waren Städter, jung und wild dazu, aber als Studenten wollten wir uns dann doch nicht beleidigen lassen. „Die Straße der Patrioten“ weiterlesen

Mit nem Ei im Mund (6)

Sie waren jetzt an der Einmündung zur Corneliusstraße angekommen, am neuen Haus mit der runden Ecke und den winzigen Balkons mit Blick auf die Bahngleise, wo Willi, Jörg und Reinhild wohnten, die gleich, nachdem sie hergezogen waren, Teil der Corneliuskinder geworden waren.
„Ich mach mal Schellemännchen“, krähte Renate und schellte bei den Familien der Spielkameraden.
„Nix wie weg!“ rief sie dann, und beide nahmen Tempo auf. „Mit nem Ei im Mund (6)“ weiterlesen

Mit nem Ei im Mund (4)

Wachtmeister Blümchen steht immer noch an der Ecke. Genau vor dem Eingang dieses Hauses. Ein hässliches Haus. Pissgelb. Nennt Dieter die Farbe der glatten Fassade. Fünf Stockwerke. In jeder Etage je fünf Fenster auf der Seite, die zur Corneliusstraße zeigt, und je vier Fenster auf der zur Oberbilker Allee liegenden Seite. Alle Fenster gleich groß und mit dem gleichen Abstand voneinander. In jedem Fenster rote Vorhänge. Manche Vorhänge sind zugezogen, manche nicht. Einige Fenster stehen offen, und in den Fenstern, die Arme im Rahmen abgestützt, liegen Frauen und schauen auf die Straße. „Mit nem Ei im Mund (4)“ weiterlesen

Mit nem Ei im Mund (2)

“Siegfried! Siegfried!“ Seine Mutter winkt von der anderen Straßenseite aus. „Komm mal rüber!“
Siggi wollte sowieso auf den anderen Bürgersteig. Das Ei hat er noch in der Hand. Seine Mutter steht mit der Einkaufstasche vor der Einfahrt zum Bierverlag Treukens. Siggi findet, sie guckt komisch. Außerdem sind ihre Haare zerzaust. Na ja, wäre nicht das erste Mal, dass Mutti nach dem Einkaufen bei Dieter im Getränkelager vorbeischaut. „Mit nem Ei im Mund (2)“ weiterlesen

Die Zeiten sind

Vorspann

Am Anfang war der Faden. Und der Faden war rot und er zog sich ganz hindurch durchs Leben. Wir sollten beim Erzählen den Faden nicht verlieren, sagt Susanne, sondern die Geschichten behandeln wie Perlen und auffädeln.

Kämm dir doch die Fransen aussem Gesicht, ja, das sieht definitiv scheiße aus. Keine Diskussion. Woher ich das Recht nehme? Aus meinem ästhe-tisch-moralischen Grundwertevorrat, du Flachwichser. Nein, ich bin nicht besoffen, ich hab, genau wie du, fünf Jackie-Cola intus. Das macht mir gar nix, wie du wissen solltest. Und was soll eigentlich diese präpotente Jacke, hä? Mit diesem lächerlichen Heavy-Metal-Zeichen auffem Rücken und den versilberten Knöpfen… Wie alt bist du denn? Willst du nicht irgend wann mal die Kurve kriegen? Okay, okay, du bist aus vollem Herzen Taxifahrer. Ja klar, und meine Tante ist auch n schöner Mann. Warst ja auch aus Über-zeugung Kurierfahrer. Und Kellner. Und und und. Du glaubst das und sonst keiner. Ich sag dir was: du lügst dir schon seit zig Jahren in sämtliche Taschen, du Loser. Und jetzt hör auf mit dem Debattieren, es gibt Geschichten zu erzählen, Gedanken zu denken, Stimmen zu hören. „Die Zeiten sind“ weiterlesen

Bier und Ei

(Getting-Old-Senior-Club-Mix 1999)

Samira wischt die Theke, umkreist Kopf und Arme vom alten Körnewig, der nicht wirklich schläft, sondern sie nur provozieren will. Wartet darauf, dass sie sagt: Hey, sie können hier nicht pennen. Dann würde er langsam den Kopf heben, sie ansehen, sich an ihren krähenschwarzen Glanzaugen freuen und sagen: Tu ich doch nicht, ruh mich bloß aus und denk ein bisschen nach. Deshalb sagt sie nichts. „Bier und Ei“ weiterlesen