Getrennte Wege (3)

Tatsächlich rief sie am nächsten Tag. Ja, sie ginge gern mit zum Konzert. Aber es dürfe auf keinen Fall so wirken, als gehörten wir zusammen. Ich war verblüfft und fragte nach. Wie gute Freunde sollten wir wirken. “Das sind wir ja auch.” Natürlich sahen meine Freunde und Bekannten im Konzerthaus das ganz anders. Peter nahm mich zur Seite und meinte, da hätte ich ja einen Hauptgewinn gezogen. Elke wirkte verschnupft, ein bisschen als sei sie eifersüchtig, und Georg raunte mir zu “Schönes Paar seid ihr.” Sie ließ sich an dem Abend nicht von mir nachhause bringen, bedankte sich förmlich für die Freikarte und stürzte sich auf eine wartende Taxe. Dann hörte ich drei, vier Wochen nichts von ihr. Ungefähr zehn Tage nach dem Abend begann ich darüber zu grübeln, ob ich mich melden sollte. Ich kam zu keinem Ergebnis, und an einem regnerischen Spätnachmittag im Juni stand sie mit ihrem Fahrrad vor meiner Haustür. “Ciao, Bello, komm mit.” Schnell holte ich mein Rad aus der Garage und folgte ihr blind. Sie brachte mich an Orte im Osten der Stadt, die ich vorher nie gesehen hatte. Schließlich landeten wir am oberen Ende einer Sackgasse am Hang der Hügelkette am Stadtrand. Man hatte einen grandiosen Blick auf diese kleine Großstadt am mächtigen Strom. Wir rauchten schweigend. “Ich wollte dir was anderes zeigen, mein Freund. Siehst du da unten, etwa zwei Drittel den Berg runter, dieses klotzige Appartementhaus? Da wohnt mein Kerl.”

Ich hatte geahnt, dass sie in einer mehr oder festen Beziehung war und nahm an, dies sei der Grund dafür, dass sie sich nicht so richtig auf mich einlassen wollte. “Der ist Sportreporter. Haben uns bei der Saisoneröffnung letztes Jahr kennengelernt. Ein schöner Mann. Nicht der Hellste, aber sehr ansehnlich. Und oft unterwegs. Der will mich heiraten.” Was sollte ich sagen? “Aber ich heirate den nicht. Der will sich mit mir schmücken. Da soll ich Teil von seinem Fuhrpark werden: Harley, Jeep, Sportwagen, Ann. So schön ist er auch nicht. Weiß momentan bloß nicht, wie ich mit dem Schluss machen soll.” Da konnte ich ihr auch nicht helfen und sagte nichts. Und nachfragen wollte ich schon gleich gar nicht. Sonst hieße es wieder, ich stelle die falschen Fragen zum falschen Zeitpunkt.

Von diesem Abend an sahen wir uns beinahe täglich. Einer von uns hatte immer eine Idee, was man gemeinsam unternehmen könnte. Und manchmal fuhren wir einfach zum kleinen Strand am anderen Ufer und redeten über dies und das. Immer öfter ging es darum, endlich einen Roman zu schreiben. Sie war viel näher an diesem Traum als ich. Wir tauschten uns aus über Gelesenes, über unsere Ideen und über Stil und Tempo von Erzählungen. Und am Ende lieferte ich sie immer am Haus ab, in dem sie wohnte. Wir küssten uns wie gute Freunde und sie verabschiedete sich mit einem “Ciao, Bello. Bis bald.” Dann nahm sie mich mit ins Stadion. Sie hatte Freikarten über ihren Freund bekommen. Sie trug eine Jeansjacke, die über und über mit Aufnähern versehen war, die alle mit dem Club unserer Stadt zu tun hatte. Zu der Zeit interessierte mich Fußball nicht sehr, und ich war ein bisschen erschrocken, mit wieviel Emotion sie das Spiel verfolgte. Als unsere Mannschaft den Siegtreffer geschossen hatte, stürzte sie sich auf mich, drückte und küsste mich und war ganz außer sich.

Und dann lud sie mich zum ersten Mal in ihre Wohnung ein. Ein merkwürdiges Appartement in diesem schweren Eckhaus. Kein Raum war rechtwinklig, und es gab drei Zimmer, die hintereinander lagen. Sowie einen winzigen Flur und ein sehr kleines Bad mit einer Sitzwanne und einem altmodischen Elektroboiler. Das erste Zimmer diente als Wohnküche, wobei die Küche aus einer Kommode, einem offenen Regal, einem verbeulten Kühlschrank und einem E-Herd aus den frühen Sechzigern bestand. Mehr als heißes Wasser für ihren Tee sah ich sie dort auch nie kochen, weil sie eigentlich immer auswärts aß. Und um sich das leisten zu können, pflegte sie eine ganze Schar an Verehrern, die ich nach und nach kennenlernte. Da saß dann ein mehr oder weniger prominenter oder reicher Typ am Wohnzimmertisch, trank Tee und fand die Lage peinlich. So traf ich auf F.S., den Star einer sehr wichtigen Band, H.G., der gerade seiner erste große Einzelausstellung hatte, Dr. A.W., den Vorstandsvorsitzenden der alteingesessenen Maschinenfabrik, R.K., von Beruf Sohn, ein paar Fußballprofis und schließlich den designierten Oberbürgermeister.

“Wenn du glaubst, ich hätte auch nur mit einem von denen auch nur einmal Sex gehabt, dann liegst du falsch,” sagte sie eines Tages kurz nachdem sie M.M. hinaus komplimentiert hatte. “Sie laden mich ein, weil sie sich mit mir schmücken wollen, erfüllen mir wünschen und … lechzen.” Sie lachte kurz und rau. “Irgendwann sind sie das Lechzen leid und melden sich nicht mehr. Dann kommt aber immer schon der nächste.” Möglicherweise war ich der einzige Verehrer, der sie nicht einlud. Einfach weil ich mangels finanzieller Masse nicht konnte. Immerhin beehrte sie mich kurze Zeit später auf meiner Terrasse, weil ich für sie gekocht hatte. “Wir sollten zusammenarbeiten,” meinte sie vor dem Dessert. Aber ich schüttelte nur den Kopf: “Das würde nicht gutgehen.” – “Hast wahrscheinlich Recht,” gab sie zu und sprach das Thema nie wieder an. Ich wusste, was sie meinte. Sie hatte ansatzweise einmal darüber gesprochen, dass der ideale Roman unserer Zeit unbedingt von mehr als einer Person geschrieben werden müsse – am besten von einem Mann und einer Frau.

Einerseits kamen wir uns näher, andererseits begann sie, mich zu reizen. Also mich heiß zu machen, scharf, geil auf sie. An einem extrem schwülen Abend saß ich in der Küche, weil sie nach hinten gegangen war. Der zweite Raum war das, was sie den Salon nannte. Die Wände waren römischrot gestrichen, ein dunkelroter Teppichboden passte bestens dazu, und die zwei schweren, ochsenblutfarbenen Ledersofas rundeten das Bild ab. Es gab einen künstlichen Kamin, der auch im Sommer vor sich hin flackerte, Kunstdrucke in üppigen Rahmen und ein Bücherregal aus dunklem Holz, das die längeste Wand im Zimmer komplett bedeckte. Ihr Schlafzimmer sah ich erst etliche Wochen später. “Komm mal her,” rief sie aus dem Salon, “ich muss dir was zeigen.” Da stand sie in einer Pose wie aus einem Film der Sechziger und hatte rosarote Dessous an. “Hab ich erzählt, dass ich eine Saison lang als Model in Mailand gearbeitet habe? Unterwäsche. Ein paar Sachen durfte ich behalten. Wie gefällt dir das?”

Vermutlich nickte ich und schüttelte gleichzeitig den Kopf, schnitt wahrscheinlich Grimassen und fuchtelte mit den Händen. Ich hatte eine Erektion und passend dazu Speichelfluss. Wäre ich auch nur einen Hauch von Macho gewesen, hätte ich mich auf sie stürzen und ihr das bisschen Spitze vom Leib reißen müssen. So aber riss ich mich zusammen und sagte nur: “Schön.” Und so etwas Blödes wie: “Du siehst wunderhübsch aus.” Sie lachte kurz und rau und sagte: “Warte, warte. Rühr dich nicht von der Stelle!” Kam nach ein paar Augenblicken aus ihrem Boudoir, dieses Mal in weiß. Dann in etwas lindgrünem, das vollständig transparent war, sodass ich ihre Brustwarzen sehen konnte und den Busch zwischen ihren Beinen. “Pass auf, ich hab da noch einen Katalog,” rief sie, griff mich am Arm und zerrte mich auf eines der Sofas. Saß dann fast auf meinem Schoss. Der Katalog verdeckte die Beule in meiner Hose, und sie blätterte eifrig, um mir die Fotos zu zeigen, für die sie posiert hatte.

Dann war der Spuk vorbei. Sie zog sich wieder an. Wir tranken Weißwein in der Küche, plauderten über Belangloses, und dann schickte sie mich nachhause. Wo ich kein Auge zutat, denn immer wenn ich versuchte, einzuschlafen, schwebte sie über mir, angetan mit den absurdesten Dessous. Mir blieb nur die Selbstbefriedigung.

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