Klaus auf Kuba (Schluss)

Sie zieht sich aus und macht sich an seiner Hose zu schaffen. Klaus kann an nichts anderes denken, als dass man sie hier aufstöbern könnte und wehrt sie ab. Do you not like me? fragt sie in holprigem Englisch. Doch, doch, sagt Klaus. Will you marry me, Klaus? Sie liegt vor ihm auf den Knien. Er sieht ihre nackten Brüste. You must marry me! sagt sie und greift nach seinen Hosenbeinen. Or I kill you! Er sieht das schlanke Messer in ihrer Hand. Take me from here! Take me to Germany! Understand?! Da kommt Ramos um die Ecke, stürzt sich auf die schöne Frau und reißt sie weg von Klaus. Er brüllt sie an und gibt ihr Ohrfeigen, sodass sie laut schreit und dann wimmert. Lauf, Klaus, befiehlt Ramos.

Später sitzen sie wieder im Hof. Ines heißt sie, erklärt Ramos, sie ist verrückt. Sie denkt, sie kann nicht mehr auf Kuba leben. Eine Prostituierte, spezialisiert auf Touristen. Meine Schwester Erendira kümmert sich um sie. Er blickt zu Boden. Ich hätte es wissen müssen, dass Ines so auf dich reagiert. Entschuldige, bitte. Sie wird später zurückkommen. Also kannst du nicht hier bleiben. Es gibt da ein Hotel in der Altstadt von Santiago, da kannst du übernachten. Ich bringe dich hin. Klaus nickt die ganze Zeit und wünscht sich einfach nur wieder nachhause zu kommen. Das Hotel hat vier Zimmer, die jeweils mit einem schmalen Bett und einem Stuhl möbliert sind. Im Patio gibt es einen Wasserhahn. Klaus hat zwei Dollar im Voraus bezahlt. Und dann hat er auch Ramos sein Honorar gegeben. Aber ich muss dich doch zurückfahren, hat sein Begleiter eingewandt. Nein, nein, hatte Klaus geantwortet, ich fahr mit dem Bus oder dem Zug oder einem Taxi. Ich danke dir für alles, aber ich habe genug von der Tour. Er gibt Ramos noch einen Zwanzig-Dollar-Schein und reicht ihm die Hand.

Im Eingangsbereich sitzt der Hotelier an einem Tisch, auf dem ein Telefon steht, das aber keine Schnur zu irgendeiner Dose hat. Vor ihm liegt ein aufgeschlagenes Buch. Der Kerl ist dick und schlecht rasiert. Zwei Radios spielen gleichzeitig verschiedene Sender. Hinter ihm steht ein antiker Kühlschrank an der Wand; die Tür ist mit einer ausführlichen Preisliste dekoriert. Der Mann erklärt Klaus den Getränkeverkauf. Weil er spanisch spricht, kann er sich nur zusammenreimen, was zu tun ist. Also legt er einen Dollarschein in die bereitstehende Zigarrenkiste, macht dann vier Striche auf der Preisliste und entnimmt die gewünschten Bierflaschen. Er scheint alles richtig gemacht zu haben, denn der Hotelbesitzer nickt zustimmend. In der Nacht hat er einen langen Albtraum in Farbe und 3D. Immer wieder gerät er in Menschenmengen, die ausschließlich aus schönen, dunkelhäutigen Frauen bestehen, die ihn von allen Seiten begrabschen. Manchmal kann er fliehen, ein paar Mal zieht ihn die Meute nackt aus, und in der schrecklichsten Sequenz reiten sie auf ihm, eine und noch eine und noch eine.

Am Busbahnhof bietet ein Verkaufsstand Kaffee und gefüllte Hörnchen an. Er kauft also Frühstück und setzt sich auf eine Bank. Von hier aus, das hat ihm Ramos erklärt, fährt ein Bus durchgehend bis Cárdenas. Der wird knapp zwölf Stunden brauchen, dafür kostete die Fahrt umgerechnet nicht einmal drei Dollar. Es ist kurz vor sieben. Die Sonne ist er vor einer knappen Stunde aufgegangen, und der Wind hat kühle Luft vom Meer in die Stadt gebracht. Der Bus, der gegen halb acht losfahren soll, ist noch nicht da. Klaus döst ein. Als er wieder aufwacht, sitzt eine Frau neben ihm, die seine Zwillingsschwester sein könnte. Dieselbe Hautfarbe, dieselbe Haarfarbe, ein fein geschnittenes Gesicht mit einer kleinen Nase. Hi, sagt sie, my name ist Meike. Und hält ihm die Hand hin. Ich bin der Klaus, sagt er. Oh, gibt Meike zurück, auch aus Österreich? Oder Deutschland? Er nickt. Wo gibt es denn Frühstück, fragt sie. Und Klaus deutet auf die Häuserecke in die Richtung, wo der Verkaufswagen steht. Soll ich dir etwas mitbringen? Klaus schüttelt den Kopf und wird dabei langsam wieder wach.

Dann sitzen sie nebeneinander in der letzten Reihe im Bus, der fast bis auf den letzten Platz ausgebucht ist. Es geht über eine Autobahn Richtung Norden. Meike hat berichtet. Dass sie auf einem Kreuzfahrtschiff gearbeitet hat. Dass es Ärger mit dem Hotelmanager gab. Dass sie gekündigt hat und man sie in Santiago von Bord gejagt hat. Ihr Gepäck sei noch auf dem Schiff, sie habe nur eine kleine Reisetasche mit dem Nötigsten mitnehmen dürfen. Immerhin habe man ihr den gesamten Lohn ausgezahlt, der ihr zustand, und dazu ein Voucher für ein Flugticket zurück nach Frankfurt. Allerdings vom Flughafen Matanzas aus, also Varadero. Und deshalb sitze sie jetzt hier im Bus. Klaus mag nicht von den Abenteuern der vergangenen Tage berichten, es wäre ihm peinlich, einer fremden Frau von den sexuellen Ereignissen zu erzählen. Also sagt er nur, er sei im Urlaub auf Kuba, in einem Ressort auf Varadero, und habe einen mehrtägigen Ausflug auf eigene Faust gemacht. Ober denn Spanisch spräche, will Meike wissen. Nein, das nicht, aber ich hatte einen Guide.

Die Autobahn endet abrupt und geht in eine staubige Piste über. Eine Stunde lang holpert der Bus über eine schmale, löchrige Fahrbahn, während aus dem Lautsprecher ununterbrochen die neusten Reggaeton-Schlager dröhnen. Viele Fahrgäste rauchen ihre Zigarren, deshalb sind alle Fenster, die sich überhaupt öffnen lassen, geöffnet, und der Staub zieht ungehindert hinein. Eine Frau, die so dick ist, dass sie gleich drei Sitze nebeneinander in Anspruch nimmt, verkauft Wasserflaschen aus einer Kühlbox. Meike und Klaus teilen sich eine Literflasche. Dann schläft sie ein und sinkt zur Seite, sodass ihr Kopf in seinem Schoß landet. Es fühlt sich richtig an, und irgendwann beginnt er unwillkürlich, ihr über das helle, seidige Haar zu streicheln. Ganz plötzlich versteht er, dass dies genau eine der möglichen Situationen ist, nach denen er sich immer gesehnt hat, ohne sie beschreiben zu können: der Kopf seiner schlafenden Gefährtin auf seinem Schoß.

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