Alberner Tod

„Der Tod kann sehr albern sein. Manchmal macht er sich über seine Opfer lustig, er demütigt sie geradezu. Hört euch nur einmal bei Rettungssanitätern und Notärzten um,“ begann Thibaud. Er hatte ein Wasserglas voll mit weißem Wein, einem Riesling, glaube ich, vor sich. Er nahm einen große Schluck bevor er fortfuhr: „Natürlich träumen die meisten Menschen von einem friedlichen, ehrwürdigem Ableben. Manche wünschen sich auch, mitten in einem grandiosen Fick abzutreten, aber das kommt bekanntlich höchst selten vor. Dabei fällt mir eine Anekdote ein, die ich vor Jahren von einem Bestatter hörte.“ Er ließ den Blick über die Runde am Tisch schweifen, um sich zu vergewissen, dass wir auch alle zuhörten.

„Es handelte sich um ein älteres Paar. Der Mann war Mitte Sechzig und die Frau ein wenig jünger. Sie waren erst ein paar Monate zusammen und hatten den Sex für sich wiederentdeckt. So trieben sie es jeden Tag und am Samstag auch zweimal. An einem besonders schwülen Tag waren sie in die Dachwohnung der Frau gegangen, hatten ein bisschen neckisch herumgespielt und waren schließlich im Gästezimmer gelandet. Dort stand ein schmales Bauernbett mit einem breiten Rahmen aus schwerem Holz. Nun muss dazu bemerkt werden, dass jeder Beobachter die beiden als besonders groß und schwer bezeichnet hätte. Er war gut zwei Meter groß und wog wohl über 120 Kilo. Auch sie hätte man auf ein Gewicht von zwei Zentnern schätzen können. Sie hatten eine Weile herumgemacht, dann stieg sie auf, um zum Ziel zu reiten. Nach wenigen harten Stößen zerbrachen gleich mehrere Hölzer des Lattenrosts, und er brach mitsamt der Matratze in den engen Kasten ein. Just in diesem Augenblick erlag seine Partnerin einem Infarkt und lag tot und massig auf ihm. Der Mann hatte keine Chance, sich aus eigener Kraft zu befreien, denn seine Arme waren eingeklemmt. Zum Glück war die Frau so auf ihm zu liegen gekommen, dass er halbweg frei atmen konnte. Trotzdem stand er unglaubliche Ängste aus, denn ihm war klar, wie gering die Wahrscheinlichkeit war, dass man ihn entdecken und retten würde.“ Thibaud trank das Glas leer und schenkte sich erneut ein.

„Allerdings hat der Zusammenbruch des Bettes einigen Radau verursacht. Nun traf es sich, dass eine Etage tiefer eine junge Frau wohnte, deren Freund nur an den Wochenenden kam, sodass sie ihr Sexualleben an diesen Tagen zelebrierten. In der Stunde des Unfalls hatten sie bereits die dritte oder vierte Runde hinter sich, denn sie hatten bereits nach dem Frühstück begonnen. Nun waren sie eingedämmert, und der junge Mann wachte vom Krach der Katastrophe in der darüberliegenden Wohnung auf. Das Päärchen beschloss, nach dem Rechten zu sehen. Sie zogen sich notdürftig an und stiegen zur Wohnungstür der mittlerweile verstorbenen Nachbarin hinauf. Als auf ihr Schellen und Klopfen keine Reaktion kam, waren die beiden Turteltauben ein wenig ratlos. Der fiel dem Mädchen ein, dass eine ältere Dame aus dem Erdgeschoss einen Schlüssel haben müsste. Diese Mitbewohnerin versorgte nämlich die Pflanzen der jungen Frau, wenn diese an Wochenenden zu ihrem Freund reiste. Und auch für die Dame im Dachgeschoss verrichtet sie diesen Dienst. Tatsächlich war die Nachbarin im Besitz der Schlüssel und kam gleich mit hoch. Nachdem sie zu dritt die Wohnung betreten hatten, hörten sie schwache Hilferufe aus dem Gästezimmer und entdeckten den alten Liebhaber in siner misslichen Lage. Mit vereinten Kräften wuchteten sie die frische Leiche aus dem Bettkasten und zogen den Mann ebenfalls heraus. Da stand dann der nackte Mann in voller Größe nackt vor ihnen und weinte bitterlich. Sie bedeckten die Leiche und brachten den Mann, nachdem er sich angekleidet hatte, in die Notaufnahme des Krankenhauses, weil er offensichtlich einen Schock erlitten hatte.“

Obwohl seine Geschichte damit offensichtlich ein Ende gefunden hatte, reagierte niemand in der Runde.

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