Im Sommer trafen wir uns in dem Landgasthaus, das Thibaud und Ulla vor ein paar Jahren bewirtschaftet hatten. Unter der Linde hatte man einen langen Tisch für uns aufgebaut. Die Luft war mild, und wir saßen da zusammen, aßen, tranken und plauderten. Fast jeder hatte ein neues technisches Gerät dabei. Olav führte seinen iPod vor, und Karola zeigten den Freundinnen ihren EeePC. Natürlich hatte auch Hansherbert sein Notebook dabei und tippte eifrig Notizen für seine nächsten Artikel ein. Thibaud aber, der bisher der beflissenste Verteidiger des digitalen Zeitalters war, hielt sich raus und sag spöttisch in die Runde. Dann zog er ein Etui heraus und entnahm ihm einen Bleistift. Aus der Jackentasche zog er ein Notizbuch, das in schwarzes Kunstleder gebunden war. Er hielt beides hoch und sagte: „Das sind die wahrhaft unabhängigen Geräte zum Schreiben. Wenn eure Akkus schon längst leer sind und ihr nichts mehr tippen könnt, bin ich immer noch in der Lage, meine Notizen anzulegen. Und weil das so ist, prophezeie ich eine Renaissance von Bleistift und Papier.“
Natürlich hatte er bei einigen einen Nerv getroffen, und die Diskussion schlug hohe Wellen. Nach einer Weile schaltete sich Zilly ein, die schon immer eine gewisse Skepsis gegenüber dem Computer gezeigt hatte: „Eigentlich ist so ein Bleistift eine ideale Schreibmaschine. Erst ist klein und leicht und hält ewig. Die einzige Pflege, die er braucht, ist das Anspitzen. Aber mit ein paar Blatt Papier oder einem Block oder Notizbuch, einem Bleistift, Spitzer und einem Radiergummi als Luxuszubehör kann man überall über Tage, wenn nicht Wochen schreiben, ohne irgendwelche externen Ressourcen. Und wenn kein frisches Papier da ist, tut es auch der Rand einer Zeitung oder gar ein Stück Baumrinde. Recht eigentlich betrachtet stellt der Bleistift die höchste Stufe der Evolution von Schreibgeräten dar.“
„Das stimmt,“ pflichtete Sean bei, unser Archäologe, „denn schon seit den frühesten Zeiten der kulturellen Entwicklung bemühen sich Menschen, Zeichen zu setzen und diese zu konservieren. Man fuhr zweigleisig: Entweder kerbte man sie in Stein oder gravierte sie in ein formbares Material oder man malte mit Pigmenten auf einem geeigneten Untergrund. Aus dieser Tradition entstand im achtzehnten Jahrhundert in England der Bleistift.“
„Und der hat auch gegenüber anderen Schreibgeräten unwiderlegbare Vorteile,“ fügte Thibaud hinzu, „im Gegensatz zum Füllfederhalter braucht man keine Tinte zum Nachfüllen und die Graphitmine hält viel länger als ein ordinärer Kugelschreiber. Ich jedenfalls habe mir kürzlich ein paar Schachteln bester Bleistifte in verschiedenen Härtgraden angeschafft und nutze sie seitdem regelmäßig.“
Bei unserem nächsten Treffen im Oktober war Thibaud nicht mehr der Einzige, der sich mit einem Bleistift Notizen machte.