Das Tier in mir

Am Anfang war das Tier ziemlich klein. Es saß weit oben unterm Solarplexus und verhielt sich meistens still. Und wenn es dann einmal zubiß, dann kitzelte es mehr als dass es schmerzte. Etwa so als wenn ein Welpe zubeißt mit seinen kleinen, spitzen Milchzähnen. Du hast nicht gemerkt, dass es wächst und wie schnell es wächst. Erst als der Schmerz zum ersten Mal deine Baumuskeln krampfen ließ und dir die Luft nahm. Das Tier saß nun tiefer un umklammerte den oberen Teil deines Magens. Du wusstest, dass es da ist, du wusstest, dass es dich beißen würde. Du wusstest nur nie, zu welchem Zeitpunkt und aus welchem Grund. Mal erschien es dir, als ob es auf bestimmte Speisen reagierte. Und du beganns, bestimmte Lebensmittel zu meiden. Dann warst du dir sicher, dass es Wein und Schnaps seien, die das Tier weckten. Auch als dir wohlmeinende Freunde empfahlen, deine Ernährung ganz umzustellen, und du deren Rat folgtest, konntest du es nur eine Weile besänftigen. Nach Monaten stellte es seinen Rhythmus um und wurde nachtaktiv wie ein Hamster. Es machte sich einen Spaß darauf, dich grundlos zu wecken und dann seine Zähne und Krallen in deinen Magen zu schlagen. Die Diagnose war dann keine Überraschung.

Der Arzt stellte dich vor die Wahl. Du solltest einem Versuch zustimmen das Tier zu töten. Es würde dir während des Experiments schlechter gehen als je zuvor, aber wenn alles liefe wie gedacht, dann wäre es am Ende weg, ein für allemal. An jenem Abend hast du zwei ganze Flaschen vom besten Roten geleert, und das Tier war still geblieben als hätte es die Empfehlung des Arztes gehört. Überhaupt rührte es sich zwei volle Wochen nicht. Du begannst mit ihm zu reden. Vielleicht, dachtest du, könntest du dich mit ihm arrangieren. Es dürfe ein-, höchstens zweimal im Monat zubeißen, habe aber ansonsten stillzuhalten. Jeden Tag nahmst du dir eine Stunde der Ruhe, um begütigend auf das Tier einzureden. Es schien zu wirken, aber der Arzt warnte dich, dieser Zustand werde nicht von langer Dauer sein.

Eines Nachts griff das Tier dich an, riss an deinen Eingeweiden, verbiss sich hier und da, schlug seine Zähne auch in deine Leber und kaute darauf herum. Du hattest gedacht, du hättest das Maximum an Schmerz schon erlitten, aber was in diesen Stunden im Inneren deines Leibes geschah, überstieg deine schlimmsten Befürchtungen. Und es hörte nicht mehr auf. Ein stechender Schmerz blieb. Als habe das Tier ein Feuer mitten in deinen Därmen entfacht und hielte es am Brennen. Der Arzt verschrieb dir Morphine und empfahl noch einmal die Therapie. Du lehntest ab, denn deine Wut auf das Tier war geweckt. Dein Beschluss stand fest: Du würdest den Kampf annehmen und zu Ende führen. Das Tier müsse einsehen, glaubtest du, dass es mit dir stürbe, wenn es dich umbrächte. Aber dieses Tier war ein Selbstmordattentäter, dass dieses Risiko einging.

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