Nun war Uwe nicht der Typ, der Pauschalurlaube buchte. Da interessierte mich schon, was ihn denn in das karibische Ferienparadies getrieben hatte. Später als wir uns gegenseitig als Freunde betrachteten, erzählte er auch diese Geschichte. Wie er eigentlich bei jedem Treffen eine Geschichte erzählte. Und sich selten widerholte. Fridolin hörte natürlich aufs Wort. Auch wenn Uwe es nur flüsterte. Mit einem leisen „Fri zu mir“ konnte er den Hund über weite Entfernungen zu sich rufen. Am Tag unserer ersten Begegnung galt sein Besuch unserem Agenturchef. Der rief mich in sein Büro. Uwe saß auf dem Disgnersofa, das er ausfüllte und hatte einen Pott Milchkaffee vor sich stehen. Neben der Couch lag seine gammelige Lederjacke auf dem Boden und darauf hatte es sich Fridolin bequem gemacht. Das war die Normalsituation bei Uwes Besuchen in der Agentur. Auch an diesem Nachmittag trug er einen öligen Monteursoverall – sein Standard-Outfit im Winter. Im Sommer war es dann eine nicht weniger speckige, blaue Latzhose.
Bei seinem Volumen kam Uwe, obwohl meist in optimalem Fitnesszustand, leicht ins Schwitzen. Und stank. So nannte es jedenfalls die zart besaiteten Kolleginnen, denen so viel Testosteron einfach nur Angst machte.
Die Jobs
Hast du n Job für Uwe? fragte mein Boss. Klar, sagte ich, wir haben da doch so ne blöde Messeshow in der nächsten Woche, da fehlt noch ein fototrächtiges Highlight. Ja, dann nimm den Uwe mal mit. Wir wechselten in mein Büro. Es ging damals um eine Innovation, von der man nie wieder was hören würde, eine Art Spezial-DVD. Was man denn damit machen könnte, fragten wir uns. Hast du so’n Ding da? fragte er. Ich gab ihm eine Scheibe, und er nahm sie in die Hand. Die DVD verschwand vollkommen in dieser Bratpfanne. Und dann drückte er zu und ließ das Ding in Tausend Splitter zerspringe. Toll, sagte ich, das machen wir.
Auf der Fahrt nach Köln zur Messe lernten wir uns dann ein bisschen besser kennen. Also, ich lernte Uwe besser kennen, denn ich kam praktisch nicht zu Wort. Am Stand des Kunden waren drei, vier Pressefotografen aufgelaufen, und der starke Uwe zog seine Show ab. Das Ganze dauerte kaum eine Dreiviertelstunde, und er bekam 1.000 Mark. In bar, das hatte er sich ausbedungen.
Ein paar Wochen später erfuhr ich erst, wie schlecht es ihm zu diesem Zeitpunkt gegangen war. Dass er vollkommen pleite war, dass er die Miete nicht bezahlen konnte und das Futter für sich und den Hund. Dass er schon eine seiner Schusswaffen aus einem Depot im Wald gebuddelt hatte, um den geliebten Köter zu erschießen, damit der nicht verhungern würde. Dass er dann einen Überfall unternehmen würde, ungeplant und mit dem Risiko, selbst dabei draufzugehen. Wie meist lag die Wahrheit ungefähr bei sechzig Prozent.
Zum Glück fand Uwe in jenen Wochen einen Schwarzarbeiterjob am Schlachthof. Der war nicht besonders gut bezahlt. Aber erstens hatte er immer Fleisch für sich und seinen Kumpel. Und außerdem fiel immer mal ein schönes Rinderfilet ab, dass er gern für recht kleines Geld verkaufte.
Nierenspülung
Wir trafen uns nun mindestens alle zwei Wochen außerhalb der Agentur. Es hatte sich zum Ritual ausgebildet, dass er über die Zoobrücke kam und mich an der Bagelstraße abholte, von wo aus wir durch den Hofgarten zur Ratinger Straße gingen. Das Füchschen war unser Ziel. Meist saßen wir direkt links neben der Eingangstür, oder im Sommer draußen. Uwe orderte das Bier in Zehnerpacks. In der Zeit, in der ich das erste Glas leerte, waren mindestens zwei, eher drei Nullzweifünfer in ihn hineingelaufen. Nierenspülung nannte er das. Dazu gehörte die – wie er es ausdrückte – Schlachteplatte, also mindestens zwei Haxen oder wirklich eine doppelte Portion Wurst und Fleisch mit Sauerkraut.
Gegen Mitternacht bestellten er dann noch einen großen Teller Mettbrötchen, den wir ebenfalls leerten. Unser Rekord lag, wir waren an einem milden Abend gegen sechs eingelaufen und hatten bis zum Schluss gut gearbeitet, bei knapp achtzig Glas Altbier. Ich kenne meine Grenzen und schätze, dass mein Anteil bei etwas mehr als einem Viertel gelegen haben mag. Natürlich fühlte Uwe sich immer eingeladen.
Für mich ging das in Ordnung, denn ich kannte aus der Phase meines Lebens, in der ich sehr arm gewesen war, das Prinzip: Du erzählst Geschichten, der oder Zuhörer zahlen die Zeche. Außerdem stellte sich bald heraus, dass Uwe bei aller Übertreibung und auch Selbststilisierung ein kluger Menschenkenner und zuverlässiger Ratgeber war. Das zeigte sich etwa neun Monate nach unserer ersten Begegnung, als wir uns auf der Straße über den Weg liefen. Damals war meine spätere dritte Ehefrau gerade nach Düsseldorf gezogen. Ich war sehr verliebt, und ihr imponierte Uwe sehr. Er begrüßte sie mit Handkuss, setzte ein paar seiner Sprüche ab und marschierte weiter.
Zwei Wochen später saßen wir beim Bier. Und, wie findest du sie? fragte ich ihn in der Hoffnung, zu dieser Eroberung beglückwünscht zu werden. Er hatte gerade einen Brocken Eisbein auf der Gabel und sah micht darüber hinweg an. Auffällig an diesem Gesicht waren die unterschiedlichen Augen. Beinahe wie bei jemandem, der bereits einen Schlaganfall hinter sich hatte. Wenn er sich aufregte, kniff er das eine Auge leicht zu, während er das andere weit aufriss. Dann sah er aus wie ein irrer Amokläufer.
Die ist ne Schlampe, sagte er leichthin, nimm dich in Acht, die wird dich schneller verarschen als du gucken kannst. Die hat nur Ficken im Kopp. Ich war empört, und wir beendeten den Abend beinahe schweigend und vorzeitig. Leider erwies sich seine Prognose zwei Jahre später als ziemlich zutreffend. In der Zeit meiner Ehekrise gab Uwe mir dann eher grobe Ratschläge – die Olle mal zu verkloppen, war noch der harmloseste.
Gewalt ist gut
Diese Szene stand stellvertretend für zwei Dinge, die Uwes Leben immer schon bestimmt hatten und vermutlich heute, wo wir keinen Kontakt mehr zueinander haben, bestimmen wird: Frauenverachtung und Gewaltanwendung. Auf den ersten Blick trug er eine Macho-Attitüde vor sich her wie eine Flagge. Frauen, so gab er mehr als einmal zu Protokoll, gehören ordentlich durchgefickt, und wenn sie nicht spuren, werden sie vermöbelt. Viele seiner Anekdoten drehten sich darum, dass sich ihm die eine oder andere Dame an den Hals geworfen hatte und – so drückte er es aus – genau das bekam, was sie verdiente.
Nun war Uwe in der Zeit, in der wie befreundet waren, schon deutlich über vierzig und sicher kein attraktiver Kerl. Imposant trifft es besser. Aber im direkten Umgang mit Frauen, gleich welchen Aussehens, gleich welchen Alters und gleich welchen sozialen Statusses zeigte er großen Charme, viel Witz und hervorragende Umgangsformen. Und gebildet war er. Über seine Schulbildung machte er sich widersprechende Angaben. Mal hatte er das Abi am humanistischen Gymnasium gebaut, konnte also Latein und Altgriechisch, dann war es wieder die Metzgerlehre oder die Story davon, dass er sich mit gefälschten Papieren mit sechzehn freiwillig zum Bund gemeldet hatte.
Sicher las er viel und konnte sich ganze Passagen aus Büchern merken und vortragen. Man konnte mit ihm über fast jedes Thema reden, außer über Politik. Die hielt er für sinnlos und vertrat die These, dass die einzige handfeste Politik die militärische Intervention sei. Ja, er war durch und durch Militarist. Ich vermute, dass er tatsächlich einige Jahre bei der Bundeswehr gearbeitet hat, denn er war – und das führte er häufig mit großem Stolz an – Laser-Spezialist. Dann zeigte er gern das zugehörige Diplom vor, dass er klein zusammengefaltet in einer Plastikhülle immer bei sich trug.
Mehrmals berichtete er auch von der Fremdenlegion. Und von seinen Jobs als Söldner. Vor allem in Südafrika. Ja, Uwe war Rassist. Jedenfalls wenn man seinen Kriegsgeschichten glauben will. Da galten die Afrikaner, die es zu killen galt nichts. Und einmal erzählte er, dass eine Minengesellschaft seine Söldnertruppe geordert hatte, um einen Haufen Streikende zusammenzuschießen. Ob er je verwundet worden sei? fragte ich. Ja, sagte er, einmal. Da ist mir nach der Landung mit dem Fallschirm ne Kokosnuss auf den Kopf gefallen – Platzwunde.
Danach verfolgte mich lange das Bild von einem dicken Mann, der am Fallschirm in den Palmenhain einer Oase schwebt, unter einem Baum landet, nach oben schaut, von wo gerade eine Mordsnuss herabfällt und auf seinem Schädel zerplatzt. Ob seine Militärgeschichten stimmten? Ich weiß es nicht. Plausibel waren sie und wunderbar erzählt. Und ich gebe zu, dass ich mich voll und ganz darauf einließ und das alles einfach für die Wahrheit nahm. Ja, als Uwe zwei, drei Jahre später berichtete, sein alter Colonel, ein Franzose, der inwzischen weit über Siebzig sei, habe ihn kontaktiert, es gäbe da einen Einsatz am persischen Golf, da habe ich nächtelang am Telefon und im Füchschen mit ihm ernsthaft darüber diskutiert, ob er das Risiko eingehen solle.
Der Psychofreggel
An diesen einen Samstagabend kann ich mich noch genau erinnern. Wir hatten gerade gegessen und strebten einen eher gemütlichen Sonnabend an. Uwe erwischte mich am Telefon, seine Mutter läge im Sterben. Das war die einzige Frau, die er rundum liebte und bewunderte. Auch weil sein Vater ein Schläger war, der ihn und die Gattin regelmäßig verprügelte. Bis Uwe groß und stark genug war, seinem Erzeuger die Scheiße aus dem Leib zu kloppen, was er auch tat. Dann verschwand dieser Vater irgendwann und Jahrzehnte später erreichte Uwe die Nachricht vom Tod des verhassten Vaters.
Ich hatte ihn noch nie so gehört. Er hatte Tränen in der Stimme, er schwankte zwischen weinerlicher Trauer und kaum zu bändigender Wut auf alles und jeden. Sie sei dabei, von innen heraus zu verfaulen, berichtete er. Erzählte davon, dass seine Mutter inzwischen so stänke, dass er ihr Zimmer nur noch mit einem feuchten Tuch vor dem Mund betrete. Dass er den Arzt mit Arschtrittn verscheucht hätte. Dass er die Mutter stundenlang im Arm gehalten habe. Dass sie gelächelt habe. Und dass er gerade überlege, ob er ihr den Gnadenschuss verpassen solle. Ich sagte nur MMmh und Ja und hörte zu. Zwei Stunden lang. Wir einigten uns darauf, dass Sterben einfach scheiße sei, immer.
Inzwischen hatte ich auch die Frau kennen gelernt, die er seinen Psychofreggel nannte. Eine sehr schlanke Dame mit ernstem Gesicht und langen grauen Haaren, etwa in seinem Alter oder ein bisschen älter. Von da an berichtete er bei unseren Treffen regelmäßig von den Streitereien und dem Versöhnen, und sparte kein Detail aus. Mir war das irgendwann peinlich, denn wie soll man einer Frau gelassen ins Gesicht sehen, deren allergeheimsten, sexuellen Wünsche man im Detail kennt.
Als die Konflikte so eskalierten, dass die Beziehung eigentlich am Ende war, bot Uwe erneut eine Lösung nach seinem Muster an. Und erzählte, wie er ein ähnliches Problem einmal beinahe gelöst habe. Der Geliebte habe er wochenlang aufgelauert, ein geladenes Sniper-Gewehr immer im Kofferraum. Nach eininger Zeit habe er begonnen, sich hinter einem Auto zu verstecken und die Frau im Zielfernrohr ins Visier zu nehmen, wann immer sie auftauchte. Es sei ein gutes Gefühl gewesen, sie jederzeit abknallen zu können. Und so ging nach und nach sein Zorn zurück, und er konnte die Sache friedlich abschließen.
Walter und der Schutz
Es gibt nur wenige Dinge über Uwe, von denen sich sicher weiß, dass sie stimmen, weil sie von mehreren Leuten bestätigt wurde. Dazu gehört, dass er über lange Zeit in der Stadt als Türsteher und Leibwächter gearbeitet hatte und unter seinem Spitznamen in besseren Kreisen ziemlich berühmt war. Auch wenn diese Ära vermutlich in den siebziger oder achtziger Jahren lag, so war die Branche schon damals eng mit dem Rotlichtmillieu und dem organisierten Verbrechen verbunden. Und es geschah mir nur ein einziges Mal, dass Uwe meine Fragen nicht beanwortete.
Es ging um Walter, denn ich inzwischen kennen gelernt hatte. Ebenfalls bei einem Besuch in der Agentur. Wieder im Büro des Chefs. Das sei einer der weltweit führenden Experten für Computersicherheit hieß es, ein Spezialist, den die Konzerne und Regierungen ranholen, wenn es im IT-Bereich Probleme gäbe. Sein Tagessatz, so mein Boss, läge bei 10.000 Dollar. Er arbeite nie mehr als zwei, drei Tage im Monat und lehne Aufträge ab, wenn er genug gearbeitet hatte. Es stellte sich heraus, dass dieser mysteriöse Mann seinen Hauptwohnsitz in der Dominikanischen Republik hatte und dass er das Bindeglied zwischen Uwe und meinem Chef war.
Dieser Walter war deutlich älter als wir alle, wobei ich ja auch knapp zehn Jahre älter war als die anderen beiden. Mir kam er sehr misstrauisch vor, wie er da in einem unauffälligen schwarzen Anzug mit weißem Stehkragenhemd da saß und Zigarillos rauchte. Ich spürte, dass dieser Mann aus einer anderen Welt kam, wo andere Gesetzte galten. Und genau danach fragte ich Uwe, der nach eigenem Bekunden alle zwei, drei Jahre für ein paar Monate zu Walter flöge, um sich zu erholen.
Was denn Walter gewesen sei, als er noch in Düsseldorf lebte, lautete meine Frage. Uwe sah mich lange an. Das willst du nicht wissen, gab er zurück. Doch, sagte ich. Nein, Kleiner, das willst du besser nicht wissen.
Aber lange Zeit danach, wir hatten jede Menge Killepitsche zum Bier genommen und waren beide angetrunken, ließ er durchblicken, dass mein Chef früher sehr abhängig von Walter gewesen sei, dass Walter aber für dessen Karrierestart gesorgt habe durch seine Verbindungen und Beziehungen. Dass mein Boss – und das überraschte mich nicht – ein labiler Typ sei, voller Ängste und unberechenbarer Reaktionen. Leider habe er einige Informationen über Walter im Safe irgendeines Rechtsanwalts untergebracht, die an die Medien gingen, wenn ihm etwas zustoßen würde. Er, so Uwe, habe den – wie er wörtlich sagte – „ewigen Auftrag“ den potenziellen Erpresser zu beschützen
Amerika, Amerika
Besonders liebte ich die Geschichten aus der Zeit, in der er versucht hatte, in den USA Fuß zu fassen. Da wird er Mitte Zwnazig gewesen sein, vielleicht sogar ein ganz hübscher Bursche, jedenfalls Bodybuilder wie Arnold Schwarzenegger und – so seine Ausdrucksweise – „dieser picklige Ralf Möllers“. Den verachtete er abgrundtief, über den redete er schlecht, der habe den ganzen Rücken voller eitriger Pusteln vor lauter Anabolika. Das habe er selbst in einem Gym in Venice Beach gesehen. Jedenfalls hatte auch Uwe vor, dem Arni nachzueifern und als blonder Recke wie jener Goldmedaillengewinner, der einst den Siegfried im Film gegeben habe. Die Einkünfte aus irgendeinem obskuren Job hatte er in den Erwerb eines violetten Porsche Carrera und dessen Transport nach Amerika investiert. Man muss da auffallen, meint er dazu. Und erzählte die Geschichte wie er während der Überquerung des Kontinents irgendwo im mittleren Westen plötzlich einen Polizeihelikopter über sich sah, der sich vor die Schnauze des Porsche senkte und ihn zum Anhalten zwang.
Die Cops seien aber eher neugierig gewesen, wer da mit knapp 100 Meilen über den Highway raste. Sie seien von seinem Auto begeistert gewesen, und der habe angeboten, sie könnte mal ein paar schnelle Meilen drehen. Was sie auch taten. Schließlich seien sie mit der Idee gekommen, ein Wettrennen zu veranstalten; ihr Heli sei ja für immer fast 180 Meilen gut. Die konnten ja nicht ahnen, merkte Uwe an, dass die Kiste so heiß getunt war, dass sie deutlich über 300 ging, als fast 200 Meilen pro Stunde. So gewann er das Rennen und schüttelte die Ordnungshüter ab.
Wie es der Zufall wollte, bekam er einen Security-Job in einem Studio, wo ihn einer der Bosse entdeckte und zu seinem Privatleibwächter machte. Das war so ein alter Jude, berichtete Uwe, ein Überlebender, der fand toll, sich einen blonden Arier zu halten. Manchmal bat er mich, so erzählte er weiter, ihn einen dreckigen ollen Juden zu nennen, was ich mit Freuden tat. Aber dann verlor der Filmmagnat das Interesse und verschaffte ihm einen Spezialjob. Aus einer Liaison sei da eine Tochter übrig, die sei so um die Zwanzig und völlig aus dem Ruder gelaufen. Treibe sich mit schlimmem Volk herum und nehme an Drogen, was zu kriegen sei. Ober die nicht durch ständige Begleitung zur Räson bringen könne.
Nennen wir sie Linda, die kleine Hexe, für die Uwe jetzt das Kindermädchen mimen sollte. Die war nicht sehr erfreut und versuchte bei jeder Gelegenheit, ihn abzuschütteln. Bis sie auf die gegenteilige Taktik stieß. Fick mich, habe sie geschrien als er mit ihr in einem New Yorker Hotelzimmer allein gewesen sei. Los, du Monster, fick mich! Da habe er sie genommen, sehr fest an den Oberarmen gehalten und gesagt: Pass auf, wenn ich dich ficken würde, dann würdest du umgehend zu deinem Erzeuger laufen und mich anschwärzen. Und dann wäre ich ein- für allemal durch und könnte mich nach Europa verpissen.
Er hatte nicht damit gerechnet, dass die Kleine ihn genau auf diese Weise aushebelte. Denn sie behauptete gegenüber ihrer Mutter (einer damals berühmten Schauspielerin, deren Namen Uwe nicht nennen wollte), sie habe sich heillos in den großen Blonden verliebt, sie hätten auch schon miteinander gevögelt und sie gedenke, mit Uwe durchzubrennen, um ihn zu heiraten. Der Skandal war da, und Uwe kriegt in Hollywood kein Bein mehr auf den Boden.
Twin-Towers
Am 11. September 2011 schien über Düsseldorf die Sonne von einem blitzblauen Himmel. Ich wollte meine Lebensgefährtin mit einer besonderen Flasche Rotwein überraschen und hatte mich in der Mittagspause auf den Weg zum Weinhandel an der R-Straße gemacht. Die lag im Hinterhof, und als ich aus der Hitze des Tages in die kühle Halle trat, sah ihn schon am andere Ende des Raums. Los, gröhlte er, komm, wir essen zu Mittag! Er stand da mit dem Inhaber, der zufällig denselben Nachnamen führte und bei dem Uwe Narrenfreiheit genoss, vor einer Reihe geöffneter Pullen und Gläsern in verschiedener Füllhöhe. Vor sich eine Päckchen aufgeschnittene Chorizo, ein bisschen Serrano-Schinken, Käse und einem schon halb verspeisten Baguette. Die Fressalien, so drückte er sich aus, habe er im Delikatessenladen abgezockt, bei dessen Beistzer er noch einen gut hatte.
Wir aßen und tranken vom besten Wein, den der Weinhändler zu spendieren bereit war, und schwatzten über dies und das. Dann gingen wir dazu über, den zu verschenkenden Wein durch Verkostung zuwählen, und nach einer Stunde fühlte ich mich leicht angeschickert und machte mich auf den Rückweg. Keine Stunde später sah man den ersten Turm des WTC in New York brennen.
Uwe rief an und berief eine Sondernierenspülung. Das traf sich gut, denn meine Parterin war entgegen der Verabredung an jenem Abend nicht verfügbar. So war er derjenige, mit dem ich an diesem geschichtsträchtigen Tag am intensivsten über die Ereignisse diskutierte. Und wo Uwe jenseits aller Wortradikalität Mitleid mit den Opfern zeigte, aber auch große Wut auf die Politik der Bush-Regierung, die für eine weitere Radikalisierung der gewalttätigen Islamisten gesorgt hatte. Nebenbei entwickelte er die Idee, in solchen Hochhäusern Fallschirme so anzubringen wie Feuerlöscher, damit die Menschen sich durch den Sprung aus dem Fenster in Sicherheit bringen könnten.
Motorradfahren
Leider hatte ich zu der Zeit keine Maschine mehr. Ich wär sehr gerne mit ihm gefahren. Denn natürlich war er auch ein großer Biker. Anfangs standen noch drei Kisten in der Halle herum, die einem Oldtimerhändler gehörte und die er mitbenutzen durfte. Die noch recht junge Harley verkaufte er, um eine finanzielle Durststrecke zu überbrücken. Die olle, nicht ganz zu Ende restaurierte Panhead überließ er nach endlosen Gesprächen einem älteren Typ, Rechtsanwalt von Beruf, der so scharf darauf war, dass er jeden Preis gezahlt hätte. Bleib noch seine Kawa Z 1000. Ja, eine echte Kawasaki-Vierzylinder, aber in einem Zustand, auf den nur der Begriff „Rat Bike“ passte. Das sei Absicht, erklärte er mir. Optisch sei die eben fürchterlich, technisch aber 1a
Auch in dieser Sache habe ich nie herausgefunden, ob das stimmte. Denn aus irgendeinem Grund fuhr er nie mit dem Motorrad, sondern immer mit seinem angeranzten japanischen Kleinwagen, der so überhaupt nicht zu ihm passte. In den USA sei er viel Harley gefahren, berichtete er, und nachdem er den Porsche verkauft und dabei einen schönen Schnitt gemacht hatte, habe er eine solche Schüssel gekauft und mit zurück nach Deutschland genommen. Dann sei er praktisch nur Zweirad gefahren. Er sei auch mehrfach von den hiesigen Hells Angels angesprochen worden, beizutreten. Er hätte auch eine Aufnahmerituale durchmachen müssen. Aber denen habe er gesagt, er sei nicht der Typ für einen Club.
Einmal holte ich ihn an seinem Fitness-Studio ab. Wobei dieser Begriff wohl nicht passt, denn es handelte sich um eine Halle hinter einer Autowerkstatt in einer Ecke der Stadt, die normale Bürger eher nicht aufsuchen. Es gab auch kein Firmenschild oder irgendein Zeichen, das auf die Sporthalle hinwies. So stand ich an der Tür und sah den wildesten Haufen harter Jungs, den ich je zu Gesicht bekam. Keine Ahnung, wie viel Jahre Knast da versammelt waren, aber an den Geräten stöhnte und schwitzte die Upper Class des örtlichen Millieus.
Die bei einer anderen Geschichte, die sich tatsächlich zugetragen hat, eine gewichtige Rolle spielen. Uwe hatte eine alleinerziehende Mutter kennen gelernt, deren fünfzehnjähriger Sohn an seiner Schule bös gemobbt wurde. Alex, nennen wir ihn einmal so, war in den Handel mit Cannabis geraten und so ins Visier der damals herrschenden Banden. Das alles an und im Umfeld einer Gesamtschule. Er war schon mehrfach verprügelt und bestohlen worden, aber jetzt hatte man ihm mit dem Tod gedroht. Man werde ihn abstechen, wenn er sich nicht verpissen, also die Stadt verlassen würde. Und seine Mutter, die blöde F**** gleich mit.
Uwe wollte mich als Zeugen dabei haben, ich sollte Fotos schießen und mir Notizen machen. Dann rief er an einem trüben Donnerstag an, ich solle mich in einer Stunde an einem bestimmten Ort direkt an einem der Schultore einfinden. Alex kannte ich nur von Fotos, und ich hätte ihn im Strom der Schüler, die das Gelände verließen, nicht erkannt. Plötzlich Motorenlärm. Sieben dicke Harleys kommen im Schritttempo an und blockieren den Weg. Auf dem Brötchen hinter Uwe, dem jemand seine Maschine geliehen hatte, sitzt der Junge. Zeig sie uns, brüllte Uwe, und Alex ging zielsicher auf eine Gruppe aus fünf oder sechs Burschen, vermutlich mghrebinischer Herkunft zu und zeigte auf die.
Alle Biker waren abgestiegen und hatten die Helem abgenommen. Uwe ging rüber. Dann griff er sich einen der Mobber buchstäblich am Schlafittchen, hob ihn mit einer Hand hoch und trug ihn ein, zwei Meter zur Seite, wo er ihn absetzte. Ich immer in der Nähe. Siehst du denn da? fragte Uwe und zeigte auf Alex. Der steht unter unserem Schutz. Verstanden? Ja? Merk dir das Gesicht. Dann verabreichte er seinem Opfer eine schallende Ohrfeige. Und das, so fuhr er fort, waren ungefähr zehn Prozent von dem, was euch erwartet, wenn dem Kerl irgendwas passiert.
Schweigen breitete sich aus. Der Geohrfeigte rieb sich das Gesicht und nickte heftig. Seine Kollegen hatten sich ganz klein gemacht, und Alex stand wieder bei den Bikern. Die ihre Helme aufsetzten, die Motoren starteten und davon brausten.
Niedergang
Meine Lebensumstände änderten sich massiv, und der Kontakt zu Uwe brach ab. Wir trafen uns erst zwei, drei Jahre später per Zufall wieder. Es ging ihm nicht gut. Er hat nicht zugegeben, dass seine Gesundheit stark angegriffen war, aber das war nicht zu übersehen. Er wog viel zu viel, sein Gesicht war aufgeschwemmt, und seine Bewegungen unsicher. Er berichtete von allen möglichen Plänen, dass er jetzt Komparse beim Fernsehen sei, in einem Tatort mitgespielt habe. Zwischendurch als Sumo-Profi ein bisschen verdient habe. Tatsächlich gab es diesen Fernsehkrimi, in dem er mit zwei anderen starken Jungs für ungefähr acht Sekunden zu sehen war.
Danach sah ich ihn nie wieder. An das Handy mit der Geheimnummer geht er nicht, Nachrichten kann man nicht hinterlassen. Ich habe sogar bei ihm geklingelt, aber es hat niemand geöffnet. Mein Sohn ist ihm noch ein paar Mal begegnet. Und es gibt Leute, die mir versichern, Uwe sei noch am Leben, sie hätten ihn persönlich gesehen.
[Hinweis: Dies ist eine wahre Geschichte. Die Namen sind verändert, die Ähnlichkeit mit lebenden oder toten Personen aber unvermeidlich.]