Peilemeier saß ziemlich breitbeinig auf der roten Polsterbank in der hinteren Ecke der Bar. Ich hockte mit einigem Abstand auf einem Stuhl ihm gegenüber. „Heißt du wirklich Pan mit zweitem Vornamen?“ Er lehnte sich noch weiter zurück. „Jan Pan Peilemeier, so heiße ich; kein Künstername, kein Pseudonym.“ – „Wer nennt seinen Sohn denn Pan?“ – „Idee meiner Mutter, die war Flötistin. Du verstehst: Pan, der Hirtengott mit der Flöte.“ JPP, so ließ er sich gern nennen, grinste. „Du sagst ‚war‘. Ist sie tot?“ – „Nein, nein, quicklebendig, nur keine Flötistin mehr. Hat es nach der Geburt meiner Schwester drangegeben.“ – „Und die heißt wohl Tuba mit zweitem Vornamen?“ Er lachte ein bisschen, und es klang als habe er einen Krümel in der Luftröhre. „Die hat keinen zweiten Vornamen. Jedenfalls so weit ich weiß.“ – „Und war dein Vater auch Musiker?“ Peilemeier kippte kontrolliert vornüber und stützte die Ellenbogen auf den Knie ab: „Nein, der ist Schlagzeuger.“ [Lesezeit ca. 11 min]
„Na, dann liegt dir die Musik ja im Blut.“ Ich war ihm etwas nähergerückt und erkannte die kleine Narbe über seinem rechten Auge. „Überhaupt nicht. Ich beherrsche kein Instrument, ich kann nicht singen, und mein Rhythmusgefühl ist unterentwickelt.“ – „Also nur malen.“ Er nickte. „Ja, nur malen.“ Jan Pan Peilemeier, noch keine zweiundzwanzig und schon globaler Star der Kunstszene. Was sollte ich ihn fragen, dachte ich, soll doch ein knalliges Interview werden, hatte Breel angeordnet. „Ich persönlich verstehe nichts von der Kunst,“ eröffnete ich, „kann immer nur sagen, ob mir ein Bild gefällt oder nicht.“ Jetzt hatte er auf den Nebentisch hinüber gelangt und das Glas mit der Latte genommen. Er trank einen Schluck. „Geht mir genau so,“ antwortete er, „auch bei meinen eigenen Sachen.“ – „Wie machst du das denn, malst du Fotos ab, oder heuerst du Models an?“ Peilemeier holte ein Smartphone aus der Brusttasche seiner Wildlederjacke, ein ziemlich aktuelles, ziemlich teueres Modell. „Damit knips ich die Vorlagen. Die besten Fotos druck ich aus und projiziere sie auf Papierbögen an der Wand. Zeichne dann ab, was ich davon brauchen kann.“
Das leuchtete mir ein. Und wusste nicht mehr weiter. „Und dann malst du so eine Zeichnung bunt aus.“ Er starrte mich an, leicht angewidert. „Bunt? Was heißt bunt? Alles, was nicht schwarzweiß ist, nennst du wahrscheinlich bunt.“ Er ruckte auf der Sitzfläche hin und her als wollte er aufstehen. „Halt!“ sagte ich, „erklär’s mir bitte.“ Peilemeier nestelte an einer Innentasche und holte ein rundes Döschen hervor. Er öffnete es, nahm mit spitzen Fingern zwei Pillen raus und steckte sie sich in den Mund. Spülte mit dem Kaffee nach. „Ich erzähl dir was, das hab ich noch keinem Journalisten erzählt. Auch nur, weil du so herrlich wenig Ahnung hast. Okay?“ Ich nickte heftig und kontrollierte, ob mein Handy noch auf Aufnahme stand.
„Früher, also als ich so zwölf, dreizehn, vierzehn war, da war das ganz einfach. Hab eine Pappe genommen und mit Wandfarbe weiß angestrichen. Irgendwelche Farben aus den Tuben auf einen Teller gequetscht und frei Schnauze auf der Pappe gemalt. Das ging auch bis vor ungefähr zwei Jahren gut, als ich schon mit Acryl auf Leinwand malte. Dann habe ich eines Tages eine Leindwand grundiert, so zweizwanzig auf einsfünfzig. Da kommt so eine weiße Leimfarbe drauf, aus Kreide hergestellt. Als das Ding auf der Staffelei stand, wusste ich nicht mehr weiter. Hatte sieben, acht Skizzen an die Wand daneben gepinnt, aber ich konnte einfach nicht anfangen. Drei Tage lang ging das so. Weißt du, wenn ich eine Arbeitsphase habe, geh ich jeden Morgen um zehn ins Atelier und arbeite durch bis abends um sieben, acht Uhr. Der Kühlschrank ist immer gut gefüllt mit Wasser, Wein und Bier, und Kaffee ist auch immer genug da. Wenn ich Hunger hab, bestell ich mir was.
Wichtig ist auch die Musik. Vor Jahren habe ich einem Fotografen sein Tonbandgerät abgekauft, ein Riesending mit Riesenspulen, da passen bis zu achtzehn Stunden Musik drauf. Der war dabei, aus Altersgründen sein Studio aufzulösen. Hat mich trotzdem ein Vermögen gekostet; ungefähr fünfzig Bänder hat er mir einfach geschenkt. Ganz viel Rock aus den Sechzigern und Siebzigern, jede Menge Jazz, Klassik, alles, was gut ist und mindestens zwanzig Jahre alt. Morgens wähle ich das Band aus, und das läuft dann durch. Am ersten Tag, an dem nix ging, hatte ich traditionellen Jazz, Louis Armstrong, Bessie Smith und so weiter. Gute Musik, sehr gute Musik. Saß lange vor der weißen Leinwand und starrte sie an, den ganzen Tag. Am nächsten Tag daselbe bei Beatmusik aus den Sechzigern. Am dritten Tag lief Bach, aber ich konnte nicht anfangen.“
Ich war mit meinem Stuhl ein wenig von ihm weg gerückt, sodass mein Gesicht im Schatten lag. Jan Pan Peilemeier, der große Maler, sah zu Boden, während er sprach, und begleitete seine Sätze mit Handbewegungen wie ein Dirigent. „Was sollte ich tun? Es dauerte einen weiteren Tag bis mir klar wurde, dass es am Weiß lag. Also mischte ich Kohle in die Leimfarbe und strich die Leinwand schwarz. Das machte alles noch schlimmer. Da erinnerte ich mich an Ferdinand Franzen, wirst du nicht kennen, toller Maler, kaum beachtet. Ich hatte ihn ein-, zweimal auf Vernissagen getroffen, und hatte sich als Fan meiner Bilder geoutet. ‚Kein Angst‘ hatte er mir bei einer Begegnung ins Ohr geflüstert, ‚kein Angst vor dem Neutralen. Und wenn die Angst kommt, dann musst du Neutralität schaffen.‘ Wie Recht der alte Knacker hatte!“ So richtig konnte ich ihm nicht folgen. Mir war klar, dass ich die Aufzeichnungen stark würde kürzen müssen, damit Breel das Stück überhaupt ins Heft nehmen würde. Peilemeier winkte der Kellnerin, zeigte auf das Latte-Glas und deutete mit dem Zeigefinger eine Eins an. „Und du?“ fragte er. Ich bestellte eine große Apfelschorle.
„Weiß ist nicht neutral, schwarz ist nicht neutral. Zwei Tage lang experimentierte ich mit farbigen Grundierungen. Am Ende kam dann dieses inzwischen berühmte Grau mit leicht violetter Tönung heraus. Man nennt es unter Kollegen auch ‚Pan-Grundierung‘.“ Er lächelte zufrieden und lehnte sich wieder weit zurück. Nach und nach hatte sich die Bar gefüllt, und ich konnte sehen, dass einige Gäste Peilemeier nicht nur erkannt hatten, sondern auf das lauschten, was er mir erzählte. Ich fühlte mich in diesem Moment ziemlich wichtig. „Lass uns austrinken und gehen,“ schlug er vor. „Wohin?“ – „Ins Atelier. Machst du auch die Fotos zu deinem Artikel?“ Ich schüttelte den Kopf: „Sollte ein Fotograf später machen.“ – „Lass keine Fotografen ins Atelier. Entweder, du machst das Fotos mit deinem Smartphone, oder es gibt keine von mir bei der Arbeit.“ Das war deutlich. Also stimmte ich zu.
Das Problem war nicht nur, dass ich von Kunst null Ahnung hatte, sondern dass ich überhaupt keine realistische Vorstellung von einem Atelier hatte. Irgendwelche Bilder aus Filmen spukten mir durchs Hirn, von chaotischen Höhlen voller Zeug mit schmutzigen Dachfenstern oder winzigen Klausen bestückt mit Sperrmüllmöbeln. Peilemeiers Atelier stellte sich als recht große, hohe Halle mit einer Fensterwand heraus. Es gab jede Menge Schubladenschränke, ungefähr zehn Quadratmeter an Tischflächen, eine hochmoderne Küchennische, Sitzecke, Flachbildfernseher, Stereoanlage, gewaltige Boxen und eben das Tonbandgerät von dem er erzählt hatte. „Hinten ist dann noch das Lager, daneben die Toiletten und die Duschen.“ Er machte eine Führung, und ich merkte ihm an, dass er furchtbar stolz auf das alles war. In der Halle stand ungefähr ein Dutzend Staffeleien, alle mit dem jeweiligen Bild zur Wand gedreht, und dann gab es sieben, acht fahrbare Arbeitsschränke, auf denen große Gläser voller Pinsel standen. „Nachher kommt meine Assistentin, dann musst du gehen, dann wird hier gearbeitet.“
Spätestens jetzt erinnerte mich Jan Pan Peilemeier an einen alerten Jungunternehmer, den ich wenige Wochen zuvor interviewt hatte, ein Schulabbrecher, der mit irgendeinem Internetquatsch groß rausgekommen war, ein Vorzeige-Start-up gegründet und wieder verkauft hatte und gerade dabei war, das nächste Millionending in die Welt zu setzen. Der war sogar noch jünger als JPP. Auch der war schrecklich stolz auf das Erreichte, das sich in einer völlig überdimensionierten Büroetage, auf der sich fünf, sechs Angestellte verirrten, manifestierte. Vermutlich fuhr der Jungunternehmen eine Maserati-Limousine. Aber ich hatte vergessen ihn zu fragen. „Was für ein Auto fährst du?“ holte ich das Versäumte bei meinem Malerstar nach. Er blieb stehen, drehte sich um und schaute mich irritiert an. „Auto? Ich habe kein Auto, nicht mal einen Führerschein. Ist mir alles zu altmodisch, zu banal. In der Stadt fahre ich Rad oder Taxi. Gut, was Fahrräder angeht, bin ich schon ein bisschen durchgeknallt.“ Ich sah ihn fragend an. „Nun, meine Sammlung umfasst sicher mehr als achtzig Velos. Verschiedene Bauweisen, verschiedene Perioden, verschiedener Wert.
Sieben, acht davon habe ich im Gebrauch. Warten, reparieren, restaurieren – mach ich alles selbst. Ist vielleicht mein einziges Hobby, ja, Laster. Solltest mal mit mir auf einen Flohmarkt gehen. Würdest mich für völlig bekloppt halten. Durst?“ Wir waren am Kühlschrank angelangt, einem dieser doppeltürigen Modelle mit Eiswürfelbereiter. „Ich hab da einen wundervollen Cremant. Wie wär’s?“ Er holte ein Sektflasche aus dem zweiten Kühlschrank, den mit der gläsernen Tür, entkorkte sie fachgerecht und goß den Schaumwein in zwei vermutlich sündhaftteure Champagnerschalen. „Zum Wohl.“ JPP hob das Glas und prostete mir zu. Er führte mich zu einer der Staffeleien und drehte sie um. Jetzt wusste ich, was er mit einem Grau-Violett meinte. Auf die so grundierten Leinwand war ein konfuses Gewirr feiner und dickerer Linien gezeichnet. „Szene aus einem Foto, dass ich bei einer Party im Cop-Cop-Club gemacht habe,“ erläuterte er. „Siehst du die verschieden großen, unterschiedlich geformten Flächen, die sich aus dem Raster ergeben? Die fühle ich im nächsten Schritt mit Farben. Mit Grundfarben, um genau zu sein.“
Verschwommene Erinnerungen an den Kunstunterricht tauchten auf; Rot, Grün Blau oder CMYK, das kannte ich aus der Druckerei. „Hier siehst du meine Grundfarben,“ sagte er und deutete auf eine Palette mit acht exakt gleich großen Häufchen Farbe. „Das sind Gelb, Orange, Rot, Violett, Himmelblau und Dunkelblau. Plus Weiß und Schwarz. Und, was fällt dir auf?“ Dafür, dass er mehr als zehn Jahre jünger war als ich, kam er mir nun sehr oberlehrerhaft vor. Ich zuckte mit den Schultern. Peilemeier lachte und zeigte mir den Vogel. Der inzwischen berühmte Maler lachte mich also aus. „Alter, ist doch einfach: kein Grün!“ Ich nickte als verstünde ich seine Erregung. „Kann man aus Blau und Gelb mischen,“ murmelte ich.
„Ja, mach ich aber nicht. Ist mein Markenzeichen, genau wie mein zweiter Vorname: Pan, kein Grün.“ JPP vollführte eine Art Tanz und schwang dabei einen Pinsel mit sehr langem Stiel. „Hat natürlich eine Geschichte, die Sache. Wird von Journalisten immer gern genommen. Sagt dir der Name Bentheim-Koschtek was?“ Ich fühlte mich zunehmend eingeschüchtert und kamm mir dumm und naiv vor. „Nein, kommt mir nicht bekannt vor.“ – „Jana Bentheim-Koschtek, eine der prominentesten Kunstsammlerinnnen der Republik, spezialisiert auf zeitgenössische Malerei, Entdeckerin vieler junger Künstler, jährlicher Ankaufetat mehr als zwanzig Mio. Eigenes Museum mit ungefähr vierzigtausend Werken, draußen auf dem Land, entworfen von irgendeinem Stararchitekten.“ Darüber hatte ich tatsächlich schon einmal etwas gelesen.
„Jana geht auf die Vierzig zu, ihr Mann, der alte Bentheim, mehr als doppelt so alt, hat die BBK gegründet, Bremsen für die Eisenbahn und Autos, Milliarden gescheffelt, eine Holding gegründet, noch mehr Milliarden gescheffelt, paar Stiftungen gegründet und mit über Siebzig eine Neunzehnjährige geheiratet und ihr eine Stiftung zur Hochzeit geschenkt. Jetzt weißt du, woher sie das viele Geld für die Kunst hat.“ Promis waren noch nie meine Welt, und von Wirtschaft und Finanzen verstehe ich auch nicht viel. Ich bin ja Feuilletonist, Fachgebiet Popkultur, da muss ich nicht jeden greisen Geldsack kennen. „Schon klar. Und weil ihr Gatte nicht mehr kann, hält sie sich potente Künstler…“ – „So ungefähr,“ sagte Peilemeier, „wobei die Dinge in meinem Fall etwas komplizierter sind. Aber das musst du nicht wissen.“
Der Regen hatte nachgelassen, die Wolken hatten sich verzogen, im Atelier wurde es hell. „Nach Norden ausgerichtet wie sich das gehört. Bei direktem Sonnenlicht kann kein Mensch vernünftig malen.“ Er goß sich Cremant nach, bot mir auch davon an, aber ich lehnte ab. Hatte mein Smartphone herausgeholt und wollte fotografieren. „Moment noch. Ich bestimme, wann und was du knipsen darfst. Warte kurz.“ Er verschwand in der Sanitärabteilung und kam nach ein paar Minuten zurück. Sein Overall dürfte ursprünglich hellblau gewesen sein. Tatsächlich handelte es sich um den Arbeitsanzug der Matrosen eines bekannten Cruiseliners, das Logo war unter Dutzenden Farbflecken gerade noch zu erkennen. Auch mit den Haaren hatte er irgendwas gemacht.
„Jedenfalls ist es so, dass Jana die Farbe Grün hasst. Warum auch immer, mir egal. Also habe ich auf Grün verzichtet seitdem sie mein erstes Bild gekauft hat.“ Beim Reden hatte er eine Staffelei in die Mitte des Raums gezogen und einen Arbeitswagen dazugestellt. Die Leinwand war noch fast unberührt, die Grundierung durchweg sichtbar. „Das wird ein Porträt.“ Und tatsächlich erkannte ich aus dem Gewirr der Linien so etwas wie die Gesichtszüge einer Frau. Jan Pan Peilemeier begann mit seiner Arbeit und verstummte. Auf kurze Nachfragen reagierte er nicht mehr. Zwischendurch schaltete er das Tonbandgerät ein, und Miles Davis in seiner Cool-Jazz-Phase füllte den Raum.
Ich ging umher und fotografierte. Zwischendurch griff er das Champagnerglas und bedeutete mir nachzufüllen, was ich auch tat. Drei, vier Stunden später senkte sich die Dämmerung über der Atelierhalle. Peilemeier begann die Pinsel auszuwaschen, warf einen letzten Blick auf das Bild und drehte es zur Wand. Er sah erschöpft aus. Ich hatte mich auf dem Sofa niedergelassen und beobachtete ihn. „Hast richtig was gelernt heute, oder?“ Wieder dieser onkelhafte Ton. „Ist das Bild schon verkauft?“ fragte ich. JPP überlegte kurz: „Alle Bilder, die ich male, sind im Voraus verkauft, alle.“ – „Und an wen?“ – „Dieses hier geht an die Sammlung Bentheim-Koschtek.“ Ich trat an die lange Wand und setzte an, eines der größeren Formate umzudrehen. „Darf ich?“ Er nickte matt. Vielleicht lag ich falsch, aber mir schien, als sei auf dieser Leinwand genau daselbe zu sehen wie auf dem neuen Bild. Ich drehte das nächste um, dann das nächste und ein weiteres Werk. Sie unterschieden sich nur in der Größe; jedenfalls sah es für meine unbedarften Augen so aus.
„Sag mal, wo kann man denn deine Gemälde sehen?“ Er war aufgestanden und mir gefolgt und hatte die Leinwände wieder mit dem Gesicht zur Wand gestellt. „Mir gefällt das nicht, was du hier tust. Willst du mich reinlegen, oder was?“ Ich nahm die Aggression in seiner Stimme deutlich war. „Nein, um Himmels Willen, wollte nur wissen, wo du schon ausgestellt hast.“ Peilemeier gab keine Antwort. Er hatte sein Glas geleert und rief mir zu: „So, das war’s jetzt. Du kannst gehen.“ – „Kann es sein,“ bohrte ich nach, „dass es überhaupt nur einen Käufer beziehungsweise eine Käuferin gibt? Dass alle deine Bilder in der Sammlung Bentheim-Koschtek hängen? Dass du überhaupt nicht malen kannst? Dass das, was du machst, so eine Art ‚Malen nach Zahlen‘ ist? Was mich zu der Frage bringt, wer denn die Zeichnungen anfertigt, die du dann bunt ausmalst…“
Wenn ich mich recht erinnere, war er mit zwei, drei Schritten bei mir. Ich sah, dass er die Faust ballte und ausholte. Und war in diesem Moment sehr froh, von Kindesbeinen an asiatische Kampfsportarten gelernt und betrieben zu haben. Seinen Schwung ausnutzend, zog ich ihn an dem Arm, mit dem er mich hatte schlagen wollen, er hob ab, segelte an mir vorbei und schlug in einem Stapel Leinwände ein, die mit dem berühmten Peilemeier-Grau grundiert waren. Er versuchte sich aufzurappeln, rutschte aus und landete auf dem Hintern. Jan Pan Peilemeier, das seit Monaten gehypte junge Malergenie, saß da und heulte wie ein kleiner Junge. „Kann es sein,“ setzte ich nach, „das dies hier überhaupt nicht dein Atelier ist? Dass Jana, wie du sie nennest, ein paar Bühnenbildner oder so beauftragt hat, hier ein Potemkin’sches Dorf für Medienvertreter zu bauen?“ Er war zusammengebrochen, das Gesicht in den Händen, schluchzend, dass sein Körper rhythmisch bebte. „Geht es hier um Spekulation? Will Madame Koschtek sich an deinen, pardon, an diesen Gemälden gesundstoßen bevor sie von ihrem reichen Gatten rausgeworfen wird? Macht ihr halbe-halbe?“
Manchmal ist es von Vorteil, sich als Journalist dumm zu stellen. Sicher, von Kunst hatte ich keine Ahnung, dafür wusste ich aber doch Bescheid über die Welt der Promis und kannte das billante Stück des Kollegen Breel über die merkwürdige dritte Ehe das Bremsen-Königs Arthur Bentheim mit der sehr jungen Frau aus der Ukraine, die mit ihrem merkwürdigen Verhalten in irgendeiner Castingshow ein paar Minuten Ruhm erlangt hatte. Von der mein aktueller Chef zu berichten wusste, sie sei nicht nur eine Schönheit, sondern sehr klug. Die letzte Neuigkeit, die er mir hatte zukommen lassen, besagte, sie habe herausgefunden, dass Bentheim ihr durchaus nichts zu vererben gedachte und dass er den Ehevertrag hatte anullieren lassen. Auf irgendeiner Upper-Ten-Party sei es zum Eklat gekommen, sie habe ihn beschimpft, woraufhin er vor allen Gäste gedroht habe, sie einfach rauszuwerfen. Um ehrlich zu sein: Ich hatte um das Interview mit JPP nicht gebeten, um ihn wirklich zu porträtieren. Das hatten die Spezialisten aus der Kultur schon erledigt … und sich von ihm an der Nase herumführen lassen. Mich hatte nur interessiert, welche Art Betrug der windige Jan Pan und die schlaue Jana eingefädelt hatten. Sein Zusammenbruch gab mir Recht mit meinen Vermutungen.
Peilemeier war wieder auf den Beinen, hatte sich mehrfach geschnäuzt und sein Champagnerglas auf einen Sitz geleert. „Hör mal,“ sagte er, „können wir uns nicht irgendwie einigen?“ Mit hängenden Schultern und einem Dackelblick im Gesicht stand er ein paar Meter von mir entfernt. Ich ließ ihn zappeln, ging ein bisschen im Atelier auf und ab und tat, als müsste ich nachdenken. „Willst du mich bestechen?“ Er gab keine Antwort. „Mach mir ein Angebot, das ich nicht ablehnen kann.“ Und wartete gespannt darauf zu erfahren, wie viel ihm mein Schweigen wert wäre. Von ihm kam nichts. „Vielleicht sollte ich besser mit Jana verhandeln; was meinst du?“ Mittlerweile hatte die Dunkelheit eingesetzt, und ein scharfer Wind trieb fette Regentropfen gegen die hohen Fenster. Der angebliche Künstler hockte am Zeichentisch und schwieg weiter. „Soll ich sie anrufen?“ und zückte mein Handy. „Nein, nein, nein,“ brüllte er nun, „das mach ich. Das geht jetzt nicht. Woher hast du ihre Nummer?“
Ich grinste nur; er war zerstört. Dann suchte ich mir eines der kleineren Bilder, klemmte es mir unter den Arm und ließ Jan Pan Peilemeier in seinem Elend zurück. Natürlich schrieb ich den Artikel nicht, und nachdem ich Breel die Umstände erklärt hatte, setzte er eine Kollegin auf die Sache an. Das Gemälde hängt seitdem bei mir zuhause im Arbeitszimmer.