Schon vor Jahren hatte Thibaud damit kokettiert, er sei ein moderner Sisyphos und sein Glück bestünde darin, sich immer und immer wieder anzustrengen und zu engagieren für Projekte, die dann doch irgendwann den Bach runter gingen. Heinzhubert hatte ihn daraufhin auf seine küchenpsychologische Art als Mensch mit einer manisch-depressiven, also bipolaren Persönlichkeitsstörung bezeichnet. Was ihm beinahe eine Tracht Prügel eingetragen hätte.
Dieser Tage traf sich die Gruppe nach einigen Monaten wieder fast in ihrer ursprünglichen Besetzung. Der Landgasthof hatte einen neuen Wirt, und in der Küche führte Isa das Regiment, die wir noch aus dem „Perl“ in bester Erinnerung hatten. Nach und nach trafen die Freunde ein, und gegen achtzehn Uhr waren wir komplett. Man bestellte, aß, trank und redete. Thibaud sah alt aus. Alt, nicht krank oder erschöpft. „Eigentlich“, sagte Zilly, „sieht er jetzt so alt aus wie er ist.“
Gegen Mitternacht war die Runde geschrumpft, und wir waren zum Rotwein übergegangen, denn der Wirt hatte die Fässer im Keller geerbt, die Thibaud in seiner Zeit als Pächter gekauft hatte. „Trinkt das Zeug“, meinte der neue Betreiber des Landgasthofs, „bestellt eh keiner.“ So soffen wir also kostenlos, und das in großen Mengen. Gegen drei Uhr am Morgen, die Dämmerung war schon sichtbar, stand Thibaud auf. Er schwankte ein wenig. Dann klopfte er mit einem Löffel an sein Glas uns sagte: „Sisyphos ist müde. Keine Lust mehr auf den immergleichen Felsbrocken. Keinen Bock mehr auf diesen ewig gleichen Hügel. Ich will meine Ruhe und einen Sinn im alltäglichen Tun.“
Ein Gespräch zu dieser Äußerung kam angesichts der kollektiven Trunkenheit und der frühen Stunde nicht mehr zustande.