Frühe Lektüre

Das ist das Buch „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck, eine Auflage für einen Buchclub, in dem mein Vater Mitglied war. Es ist einer der ersten Romane, die ich gelesen habe. Das dürfte 1961 oder 1962 gewesen sein; ich war also acht oder neun Jahre alt und hatte keine Angst vor dicken Schinken, denn in diesen Kinderjahren habe ich auch „Früchte des Zorns“ von Steinbeck, „Onkel Toms Hütte“ von Harriett Beecher-Stowe und „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift gelesen. Alles keine ausgesprochenen Kinderbücher.

Vermutlich habe ich zwischen meinem achten und zwölften Lebensjahr mehr Zeit mit Lesen verbracht als mit irgendeiner sportlichen Betätigung. Besonders nachdem ich die Stadtbücherei auf der Blücherstraße für mich entdeckt hat. In meiner Erinnerung heißt die Leiterin Frau Rose. Die gab mit Lesetipps, wenn ich ein- oder zweimal die Woche in der Bibliothek vorbeischaute. Dort habe ich nicht nur Bücher ausgeliehen, sondern vor Ort viel gelesen. Es gab Tische an den Fenstern zum Hof der Rolandschule. Frau Rose empfahl mir wenig kindgerechte Bücher wie die von Edgar Allen Poe, Stanislaw Lem und Ernest Hemingway.

John Steinbecks Werk hat mich sehr geprägt. „Cannery Row“ ist nach wie vor einer meiner absoluten Lieblingsromane; ich habe ihn bestimmt schon zehnmal gelesen, zweimal auch in Englisch. Und neulich stellte ich zu meiner Überraschung fest, dass ich seinen letzten Roman, „Der Winter unseres Missvergnügens„, gar nicht kannte. Also habe ich das Buch – wie immer als eBook – gekauft und gelesen. Was für ein wunderbarer Roman! Und darin fand ich folgende Passage, die in mir großer Bewunderung auslöste:

„Meine Frau, meine Mary, schläft ein wie eine Schranktür, die ins Schloss fällt. So oft habe ich ihr neidisch dabei zugesehen. Ihr schöner Leib räkelt sich einen Moment, als schmiegte er sich in einen Kokon, dann seufzt sie einmal, schließt die Augen, und ihre Lippen verziehen sich sorgenfrei zum weisen, fernen Lächeln einer uralten griechischen Göttin. Im Schlaf lächelt sie die ganze Nacht, und der Atem schnurrt ihr aus der Kehle, kein Schnarchen, nein, das Schnurren eines Kätzchens. Für einen kurzen Moment steigt ihre Temperatur an, sodass ich ihre Glut neben mir im Bett fühlen kann, dann kühlt sie wieder ab, und Mary ist fort. Ich habe keine Ahnung, wohin. Sie behauptet, sie träume nie, aber natürlich träumt sie. Vielleicht will sie mir nur sagen, dass ihre Träume sie kaum behelligen oder doch so wenig, dass sie schon vor dem Aufwachen alles wieder vergessen hat. Sie schläft gern, und der Schlaf heißt sie willkommen. Ich wünschte nur, so wäre es auch bei mir. Ich wehre mich gegen den Schlaf und sehne mich zugleich nach ihm.“