Ein Kerl namens Mae
Er galt gemeinhin als attraktiver Mann. Jedenfalls bei den Frauen. Männer sehen bei Kollegen nicht so aufs Äußere, aber die Burschen, die ihn näher kennen lernten, waren ebenfalls von ihm begeistert. Ein korrekter Typ, sagten sie, zuverlässig, ehrlich und für jeden Scheiß zu haben. Ein echter Kumpel. Stimmte auch. Mae machte sich für jeden Bruder im Geiste gerade, so lange der ihn nicht Mae nannte. Er hasste diesen Namen, den ihm sein Erzeuger gegeben hatte. Überall auf der Welt, klagte er einmal, gilt das als Frauenname; ich will doch keinen Mädchennamen tragen. Also begann er, den Menschen zu erzählen, es handele sich um einen Spitznamen, der sich aus seinen drei Vornamen ergeben habe: Max Antonius Emil. Die Jungs nahmen ihm die Lüge ab und sprachen ihn in Zukunft als Mäx an. Damit konnte er gut leben. „Ein Kerl namens Mae“ weiterlesen
Der starke Uwe
Striptease in Roermond
Zur dicken Mutti
Die Beerdigung des Fahrrads
Das Tanzschulenmassaker
Aus dem Büro und aus der Bar drang Stimmengewirr. Immer lauter. Die ersten Flaschen und Gläser klirrten. Dann trat jemand die Doppelflügeltür auf, und sieben, acht wilde Kerle stürmten die Tanzfläche. Udo hatte gerade das Pult mit dem Plattenspieler übernommen, weil ich eine Pause zum Knutschen mit Susanne nutzen wollte. Die Mädchen kreischten, einer von meinen Kumpeln brüllte die Eindringlinge an. Aber die reagierten darauf nicht, sondern begannen ihre Arbeit. Systematisch zerschlugen sie die Spiegelwand, kickten die Stühle umher und zuletzt zerlegte ein großer Dunkelhäutiger die Musikanlage, hinter der Udo sich verschanzt hatte. Später, ein paar Tage nach der Mondlandung, erwischten sie mich nachts auf der Blücherstraße. Die Narbe am Hinterkopf kann ich noch heute ertasten. „Das Tanzschulenmassaker“ weiterlesen
Schlittschuh, Schwimmbad, Schamhaar
Damals, in den Zeiten als sich Mädchen noch nicht die Achsel- und Schamhaare rasieren mussten, waren Freibad und Eisbahn die wichtigsten Kontakthöfe fürs junge Volk. Während man die körperlichen Gegebenheiten einer potenziellen Geschlechtspartnerin zum Beispiel im Schwimmbad am Rheinstadion oder in Lörick unmittelbar in Augenschein nehmen und abwägen konnten, zählten im Eisstadion mehr die inneren Werte. Barbara hätte natürlich in beiden Arenen Kantersiege eingefahren, aber im Sommer habe ich sie nie beim Schwimmen gesehen. Auf dem Eis war sie zumindest im Winter 1969/70 die Schönste ihrer Altersklasse. Für mich allerdings ein bisschen zu schön und auch um ein, zwei Jahre zu alt. Sie war recht groß gewachsen, hellblond und trug die Haare mittelgescheitelt und sehr lang unter der warmen Mütze. So weit es sich abschätzen ließ, muss sie eine tolle Figur gehabt haben. Ich aber hatte ein Auge auf ihre kleine Schwester geworfen. „Schlittschuh, Schwimmbad, Schamhaar“ weiterlesen
Die nackte Hilde
Meine Mutter war auf merkwürdige Weise amüsiert: „Und da hat der Werner nur so einen gestreiften Beutel an…“ Sie kicherte, und das tat sie sonst nie. Wir saßen am Frühstückstisch. Die Eltern waren am Vorabend zu Gast beim Chef des Vaters gewesen, der hatte ihnen Filme vom FKK-Urlaub mit Frau und Kind auf Korsika gezeigt. Nicht dass es bei uns prüde zugegangen wäre, aber dass man die ganzen Ferien über nackig rumlaufen könnte und alle anderen Leute auch, das kam den Eltern schon merkwürdig vor. Was dieses Thema anging, waren Werner und Hilde ein Traumpaar. Schließlich hatte sie vor der Hochzeit einige Jahre als Schönheitstänzerin gearbeitet. In einer Nachtbar namens „Bocksbeutel“, die damals noch dem Rotlichtmillieu zugerechnet wurde. Aber Werner, der mit seinem soziophoben Bruder gemeinsam die vom Vater geerbte Firma führte, war ohnehin Nonkonformist. Der verkehrte im Düsseldorfer Nachtleben, verstand sich zu amüsieren und war großer Fan des Catchens, das damals noch einen ziemlich zweifelhaften Ruf hatte und als Vergnügen für Verbrecher galt. „Die nackte Hilde“ weiterlesen
Unter Keepern
„Nigbur heiße ich“, sagte Nigbur. „Wie der Torwart?“ fragte Köpke, und Nigbur antwortete „Welcher Torwart?“ Die Männer am Stehtisch wechselten mitleidige Blicke. „Na, der Nigbur“, sagte Herkenrath, „der mit dem Skandal.“ Lehmann hob das Kinn und schüttelte unwillig den Kopf: „Du meinst den Manglitz, Manfred Manglitz. Oder was denkst du, Klaus?“ Köpke trank gerade sein Bier aus. Dafür ergriff Tilkowski das Wort: „Kann nur Manglitz sein.“ Die Runde schwieg. „Meine Gute, was kann ich dafür, dass ich Nigbur heiße!“ rief Nigbur plötzlich. Alle lachten und stießen mit den halbvollen Gläsern an. „Hauptsache“, warf Kahn ein, „kein Ball geht rein.“
Hans-Jürgen im Untergrund
In den ersten Jahren wurde die verkehrspolitische Arbeit der hiesigen Grünen durch Einbruchsdiebstahl finanziert. Ich sah Hans-Jürgen zum ersten Mal bei einer Versammlung, wo er aus dem Hintergrund des Saals mit lauter Stimme gegen die K-Gruppen-Kader anbrüllte, die dabei waren, die Partei feindlich zu übernehmen. Dann traf ich ihn auf der einen oder anderen Demo und auf verschiedenen Sitzungen. Ob ich an Verkehrspolitik interessiert sei, fragte er mich eines Tages. Ich bejahte, und er sagte, dann komm doch mal vorbei. In jenen Tagen hatte Hans-Jürgen einen Laden auf der Eintrachtstraße gemietet. Das war damals eine der finstersten Ecken der Stadt, gelegen an der Kölner Straße, die hier zwischen der Industriebrache hinter dem Bahnhof und einer Reihe schäbiger Häuser entlang führte. Die Eintrachtstraße selbst endete im Nirgendwo einer wild bewachsenen Fläche, auf der sich nachts die Junkies und Dealer trafen. Gegenüber vom Laden gab es die einzige afrikanische Disco der Stadt. „Hans-Jürgen im Untergrund“ weiterlesen
Robbies Gold
Zwei Jahre vor seinem Tod musste ich Robbie versprechen, zu Lebzeiten nicht über ihn zu schreiben. Das habe nichts damit zu tun, dass er sich für irgendetwas schäme oder irgendetwas bereue; er wolle einfach nicht nachlesbar sein. Das war vor ungefähr fünfzehn Jahren. Wir sahen uns eine Zeitlang nicht, dann erfuhr ich über Umwege, dass er an seinem schweren Nierenleiden gestorben war. Er wurde nicht einmal fünfzig Jahre alt. Meine ehemalige Ehefrau sagte: Der ist ein Zigeuner. Konnte man drauf kommen angesichts seiner schwarzen Locken und der intensiven dunklen Augen. Wir hatten ihn so um 1984 herum kennen gelernt. Seine Tochter ging in denselben Kindergarten wie mein Sohn. Da lebte er noch mit der Mutter dieses Mädchens zusammen. Robbie war ein Spieler, und damit meine ich nicht nur seinen Hang zur Zockerei. „Robbies Gold“ weiterlesen
Der Nachbar und Krystyna
Der Nachbar war komisch. Lag ich nachts im Schlafzimmer auf der Matratze, konnte ich oft hören, dass er sich in seinem Apartment bewegte. Musik spielte er nie. Gesehen habe ich ihn dann erst in diesen verrückten Tagen zwischen Ende Juli und Ende August. Ich wohnte in einer kleinen Neubaubude unweit vom Flinger Broich. Das Leben hatte sich so entwickelt, dass ich in jenem Jahr an Fortuna wenig Interesse hatte. Die bösen Hooligans, die sich in der Rockerkneipe an der Ecke trafen, machten mir Angst. Da blieb ich lieber zuhause und genoss die Sonne auf der großen Terrasse. In den warmen Sommernächte saß ich nachts gern draußen und rauchte Kräuter. Da die Dinge überhaupt schief liefen, meditierte ich zudem viel vor dem Fernseher. Sah viele Etappen der Tour live, obwohl ich mich wenig für den Radpsort interessierte. Konnte mich auch nicht für diesen rotwangigen Ossi begeistern, der von den Sprechpuppen im TV gehypt wurde. Bis der 15. Juli kam, ein Dienstag. Die berühmte Etappe nach Andora, als Jan Ullrich sie alle nass machte. Da war ich begeistert von ihm. „Der Nachbar und Krystyna“ weiterlesen
Die Straße der Patrioten
Dieser Tage unternahm ich mit dem Hund eine Wanderung im Straberger Wald. Der gar nicht der „Straberger“ Wald ist, sondern der Mühlenbusch, welcher hinwiederum den südlichsten Abschnitt des Knechtstedener Waldes darstellt. Das Dorf Straberg, dessen Pech ist, vor Längerem der kotzfleckförmigen Stadt Dormagen (Kenner sagen „Dormagendarm“…) zugeschkagen woirden zu sein, grenzt an ebendiesen Busch. Folgerichtig heißt die Straße, die aus dem Ort in den Wald führt auch „Mühlenbuschweg“. Dortselbst lebte ich im Jahre 1977 in einer Wohngemeinschaft (kurz: WG). Die Greise unter den Lesern werden sich daran erinnern, dass eine WG damals für Otto Normalfamilie quasi Sodom und Gomera in einer Person war. WGler waren entweder faule Stundenten oder verschlagene Terroristen. Wir waren weder noch. Tatsächlich zeichnete sich unsere WG dadurch aus, dass alle sieben Insassen ihre Brötchen mit ehrlicher Arbeit verdienten. Was aber den Dorfkern, der sich aus den damals noch handelsüblichen, niederrheinsch-dumpfen Rübenköppen zusammensetzte, nicht daran hinderte, von unserer kleinen Gemeinde als „diesen Studenten“ zu reden. Okay, wir waren Städter, jung und wild dazu, aber als Studenten wollten wir uns dann doch nicht beleidigen lassen. „Die Straße der Patrioten“ weiterlesen
Welcher Krebs
Wie aus dem Nichts, wie ein Wedergänger, wie ein vom Tode Auferstandener erschien Thibaud eines Abends im Gasthaus. Jahre waren vergangen, und die Gruppe hatten schon einige Tote zu beklagen. Erhard war erst vor wenigen Monaten bei einem Unfall ums Leben gekommen. Die Beerdigung von Moni war auch erst sieben, acht Wochen her. Thibaud sah dagegen besser aus als lange Zeit zuvor. Als wäre er zwischendurch von einer Kur in die nächste gewechselt. Er setzte sich auf seinen angestammten Platz, blickte in die Runde und fragte: Na, wie ist es euch ergangen? „Welcher Krebs“ weiterlesen
