Die Kinder sind beim gleichmäßigen Tempo eingeschlafen, und auch Jenny döst. Jens wechselt am Autobahnkreuz die Richtung, und keiner merkt es. Es sind auch noch dreihundert Kilometer. Zwischendurch wacht seine Frau auf und guckt ihn böse an. Schlaf weiter, sagt er, alles wird gut. Die Klimaanlage sorgt für angenehme Temperaturen, nur der sanfte Duft nach Kinderkotze und Durchfall beeinträchtigt das Fahrvergnügen.
Sie blieben noch eine Woche. Eigentlich war ja eine große Rundfahrt geplant, und die begannen sie an einem Montag. Der Patron hatte ihnen auf die Rückseite eines Handzettel, der für ein korsisches Konzert in einem Ort oben in den Bergen warb, eine Landkarte gezeichnet und Stellen markiert, die sie unbedingt besuchen sollten. Außerdem acht, zehn Restaurants und Bars, wo man ihn persönlich kannte. Dort sollten sie sich auf ihn berufen, es würde sicher helfen. So sahen sie alle bemerkenswerten Orte auf der Insel – die, in denen Massen an Touristen zu sehen waren, und die, an denen sie ganz allein waren. Sie aßen im Kreise von Jägern in dunklen Häusern oben in den Bergen oder bei Wirten, die ihren Patron kannten und ihnen in seinem Sinne gewaltig auftischten. Sie verliebten sich in die Ille de Beauté und wollten gar nicht wieder weg.
Als das Feuer kam, stand ihr Zelt auf einer kleinen Lichtung in der Macchia oberhalb von San Antonino. Den Ford hatten sie zwei-, dreihundert Meter weiter an der Straße geparkt. Und genau aus dieser Richtung näherte sich in der Nacht der Waldbrand. Vermutlich wurde das Auto zuerst Opfer der Flammen. Sie erwachten vom wütenden Fauchen des Feuerorkans. Wählten instinktiv den richtigen Weg, den steilen Berg hinab, auf den Bergbach zu, der für die Jahreszeit viel Wasser führte. Über ihnen wehten die Flammen über das schmale Tal. Links und rechts brachen verbrannte Bäume, während sie auf einem Felsen mitten im schnell fließenden Flüsschen hockten. Nach einer halben Stunde war alles vorbei. Die Landschaft war schwarz und roch wie glühende Grillkohle. Sie bahnten sich einen Weg weiter hinab. Überall lagen verbrannte Vögel und Kaninchen herum; ein Reh war offensichtlich erstickt, sein Kadaver dann nur zur Hälfte verkohlt. Die Sohlen ihrer Tennisschuhe schmolzen, und sie verbrannten sich die Füße.
Nach anderthalb Stunden, die Sonne war inzwischen aufgegangen, erreichten sie Algajola. Sie hatten alles verloren außer der Kleidung, die sie am Körper trugen. Es war klar, wer ihnen jetzt helfen konnte. Sie fuhren mit dem Bummelzug nach Calvi, der Fahrkartenverkäufer drückte ein Auge zu, denn er sah, dass die jungen Leute gerade dem Feuer entkommen waren. Im U Pinu kümmerte sich die Familie um sie. Natürlich könnten sie ein paar Tage auf dem Anwesen im Hinterland bleiben. Der Patron fuhr gleich mit ihnen hinaus. Am langen Tisch im gekiesten Hof saß nur eine alte Dame am Kopfende. Die Großmutter des Wirtes war damals bereits vierundneunzig Jahre als, fast blind und taub, aber immer noch stattlich und sehr aufrecht sitzend. Mama, sagte der Patron, das sind die Deutschen. Sie haben im Feuer alles verloren. Sie werden ein paar Tage bei uns wohnen. Er bedeute Jens und Jenny, die Hand der Frau zu küssen. Ja, ja, sagte sie dann, das Feuer…
Dann muss Jens noch einmal tanken. Natürlich wacht Jenny auf: Wo sind wir hier? Er grinst und antwortet nicht. Dann sagt er: Tut mir leid wegen vorhin, ich hätte nicht so rumschreien sollen. Bitte entschuldige. Schon gut, gibt seine Frau zurück, ich kenn dich ja ein bisschen. Jetzt erkennt sie das Schild der Raststätte und lacht. Du fährst uns doch nicht nach… Doch, doch, er grinst wieder. Na, schön. Jenny geht Eis für alle holen, und dann sind sie auf der Bahn, und die Sonne steht im Rücken.
Christophe wurde ihr Chauffeur. Brachte sie nach Bastia zum deutschen Konsul, wo sie provisorische Papiere beantragten. Sie würden ein kostenloses Flugticket bekommen, erfuhren sie, man habe einen Fond für die Opfer von Waldbränden auf der Insel eingerichtet. Schließlich käme ja keine Versicherung für den Schaden auf. In vier Tagen könnten sie Pässe und Tickets abholen und noch am selben Tag in die Heimat fliegen. Natürlich hatte die Familie sie eingekleidet, und natürlich nahmen sie jeden Abend am großen Essen teil, wenn sich nicht nur die drei Enkelsöhne und die Enkeltochter mit ihren Kindern versammelten, sondern einige Onkeln und Tanten sowie die Feld- und Waldarbeiter. Nach dem Kaffee begann der Patron meist, ein paar korsische Lieder anzustimmen, die von den meisten mitgesungen wurden. Er war als Volkssänger auf der ganzen Insel bekannt, die Musikkassetten mit seinen Gesängen kursierten überall. Der Abschied war tränenreich, und am Flughafen in Düsseldorf holte Wolfram sie ab und brachte sie nachhause.
Sie sprachen nicht sehr oft über diesen wunderbaren Urlaub, der so unglücklich endete, aber die Liebe zur Insel steckte ihnen tief im Herzen. Einmal noch überlegten sie, nach Calvi zu fliegen, einen Pauschalurlaub zu machen und ihre Freunde im U Pinu zu besuchen, mit denen sie jedes Jahr Weihnachtsgrüße austauschten. Aber dann wurde Jenny zum ersten Mal schwanger, und sie bliesen alle Urlaubspläne ab. Als dann Jana da war, stand für die Ferien im Vordergrund, keine weite Autofahrt unternehmen zu müssen, an einem schönen Ort zu sein in einem kinderfreundlichen Haus. Und so kamen sie auf den See, wo sie nun schon sieben Jahre nacheinander in einem Haus mit eigenem Bootssteg Urlaub machten.
Das Auto ist ausgepackt, Familie J. hat sich eingerichtet, und die Kinder schlafen schon. Die Sonne ist längst untergegangen, aber über den Tannen am anderen Ufer liegt noch ein Hauch Dämmerung. Jens und Jenny sitzen auf dem Steg und lassen die Füße im Wasser baumeln. Sie trinken Bier und reden nichts. Wird bestimmt wieder schön, wirst sehen, sagt er. Ja, antwortet sie, und nach Korsika reisen wir, wenn die Kinder groß sind.