Und, Karl, was machen wir jetzt? Er hat ein besonderes Bett für sie angeschafft mit elektrischer Verstellung und es im Wintergarten aufstellen lassen. Die Türen sind geöffnet, und der warme Junihauch zieht hinein, wo er bei ihr sitzt und ihre Hand hält. Die Verletzung ist deutlich schlimmer als gehofft. Zwei Wirbel sind betroffen. Bea hat Lähmungserscheinungen und starke Schmerzen am Rückgrat. Schlafen kann sie nur auf der rechten Seite, also so wie sie noch nie in ihrem Leben im Bett gelegen hat. Die Prognosen sind nicht klar. Wissen Sie, Frau Dardai, in vielen ähnlich gelagerten Fällen erheilt alles, hatte Professor Langner gesagt, dann werden Sie wieder ganz die Alte. Aber manchmal… Sie hatte abgewunken: Will ich gar nicht wissen. Sag mir, Karl, wie soll’s weitergehen? Ihr Mann hat sich ein Zigarillo angezündet, etwas, was er früher nie in ihrer Nähe getan hat. Aber sie hat es ihm erlaubt, damit er bei ihr sein kann, auch während er raucht.
Erst einmal musst du wieder ganz gesund werden, sagt er zwischen zwei Zügen. Ach, komm schon, Karl, das ist doch eine Floskel. Bestenfalls werde ich wieder laufen und ohne Schmerzen schlafen können. Große Touren sind nicht mehr drin. Hat der Professor auch gesagt. Karl nickt: Ich weiß. Aber du wirst doch nicht darüber nachdenken, ganz mit dem Singen aufzuhören. Bea Dardai dreht sich weg von ihm und schaut in den dunklen Teil des Gartens, da wo hinter dem Zaun die Fichten stehen und auf ihrer Seite das dichte Gebüsch. Man hatte ihr eine Hecke aus Kirschlorbeer, Buchsbaum oder Thuja aufschwätzen wollen, aber sie hat gesagt: Ich will etwas Lebendiges. Dort, denkt sie, leben die Tiere, die davon profitieren, dass wir Gärten anlegen, aber nicht mit uns in Kontakt treten wollen. Wenn die meisten Gehölze im Winter entlaubt sind, kann sie die vielen Nester in den Zweigen sehen. Und als sie noch die Katze hatten, brachte die aus lauter Mordlust die Vögel um, die dort lebten und nisteten.
Sie hatte sich nicht vorstellen können, wie gut ihr die Reha in diesem exklusiven Kurhotel an der Ostsee tat. Karl hatte gesagt: Genieß‘ den Luxus, die Versicherung zahlt. Und tatsächlich kümmerte sich eine Schar freundlicher Menschen beiderlei Geschlechts und unterschiedlicher Herkunft rund um die Uhr um sie. Nach fünf Wochen war ihre Beweglichkeit beinahe vollständig wiederhergestellt. Und sie, die sie ihr Leben lang wasserscheu war und das Schwimmen nie gelernt hatte, bewegt sich im Swimmingpool unter der baltischen Sonne wie eine Robbe, die kein anderes Element wirklich mag. Karl rief jeden Tag mindestens einmal an und hatte sie schon viermal besucht. Er wirkte gestresst, und sie machte sich Gedanken, wie das käme, wo er doch nicht viel zu tun hatte in ihrer Abwesenheit. Am zweiten November kam sie nachhause. Karl hatte ein besonders bequemes Auto gemietet und war besonders vorsichtig und sanft gefahren. Dann humpelte sie an ihrem Stock über die Einfahrt, während er das Gepäck auslud. Warte, rief er, ich mach dir die Tür auf.
Im Wohnzimmer sitzen vier Gestalten im Halbdunkel. Karl schaltet das Licht an. Lauter alte Säcke, denkt sie, aber irgendwie kommen die mir bekannt vor. Hey, Billie, sagt der vorgebeugt im Fernsehsessel hockt, wie geht’s? Kanne, bist du das? Und dann erkennt sie die anderen auch. Jo, Hardy und auch Mitz, der schweigende Schlagzeuger, alle sind sie da, ihre ganze Band. Sie schafft es gerade noch, sich auf die Couch zu setzen. Was zum Teufel macht ihr hier? Tja, sagt Kanne, wir wollen wieder mit dir Musik machen. Genau, meint Hardy, wird Zeit. Und Mitz nickt bedächtig. Dein Macker da, Jo zeigt auf Karl, hat uns angerufen und gemeint, wir sollten mal vorbeischauen. Bea lächelt und weint zugleich: Karl, mein Karl…
Der hat im Keller einen Proberaum samt Homerecording-Einheit bauen lassen. Sieben Wochen braucht die Band, und dann engagieren sie Curt, den immer noch berühmten Tonmeister mit der großen Liebe zum Jazz, und nehmen elf Songs auf, die guten, alten Standards, vom „Beale Street Blues“ über „Summertime“ und „Body & Soul“ bis zu „The Lady is a tramp“. Die Aufnahme von „All of me“ beginnt mit einem geflüsterten „This is for Karl, my man.“