Montreux, der Jazz und ich

Ich war noch nie in Montreux, und ich werde wohl nicht mehr dorthin kommen. Seit ich Smoke on the Water gehört habe, wollte ich immer zum Festival nach Montreux. Es hat sich nicht ergeben. Zu gern hätte ich dort Frank Zappa und Deep Purple gesehen und gehört. Aber als die dort spielten und das Casino abbrannte, war ich noch zu jung, um dorthin reisen zu können. Außerdem faszinierte mich, dass es sich um ein Jazz-Festival handelte. Ich hatte Jazz-Musik beim Onkel kennengelernt. Der hatte eine riesige Musiktruhe mit Radio und einem Plattenspieler, auf dem er die alten 78er, aber auch schon die neuen Singles abspielen konnte, Langspielplatten allerdings nicht. Seine Sammlung an Jazz-Platten war gewaltig. Als ich einmal übers Wochenende bei ihm und der Tante war, habe ich versucht, die Scheiben zu zählen; es waren wohl fast tausend Stück. [Lesezeit ca. 2 min] „Montreux, der Jazz und ich“ weiterlesen

10. Juni 1967: Der Vater stirbt

Das Gewitter konnte sich nicht lösen. Über Tag war es schwül geworden. Jetzt hingen dunkelgraue Wolken wie reife Trauben über der Stadt. Aus allen Richtungen war fernes Donnergrollen zu hören, und überall am Horizont zeigte sich seit Stunden Wetterleuchten. Die Familie hatte sich im Wohnzimmer versammelt. Die Mutter und der älteste Sohn waren im Krankenhaus, wo der Vater zum zweiten Mal innerhalb dreier Wochen operiert wurde. Zuhause warteten die beiden anderen Kinder auf Nachrichten aus der Klinik. Tante Dora und Onkel Hermann passten auf den mittleren Sohn und die kleine Schwester auf. Außerdem waren auch Onkel Martin und Tante Lotte anwesend sowie Frau Binder, die alte Nachbarin, und Herr Roeder, Arbeitskollege und guter Freund des Vaters. [Lesezeit ca. 6 min] „10. Juni 1967: Der Vater stirbt“ weiterlesen

Kreuzfahrten – Episode 1: Casablanca -> Palma de Mallorca

Natürlich dachte ich an den Film mit Humphrey Bogart und Ingrid Bergman, als ich erfuhr, dass ich in Casablanca zu meiner ersten Fahrt auf der AIDA aufsteigen würde. Casablanca! – das hörte sich nach Abenteuer und Exotik an und wäre als Ziel die beste Therapie gegen meine Reiseangst. Denn das Engagement hatte ich auch angenommen, um diese Phobie ein für alle Mal zu therapieren. Schon die Anreise war außergewöhnlich. An einem Montag im Mai 1997 flog ich von Düsseldorf nach Brüssel, wo mich eine Limousine direkt an der Maschine abholte, und zu dem entfernt parkenden Flugzeug brachte, das nach Casablanca starten sollte; man hatte auf mich gewartet. [Lesezeit ca. 9 min] „Kreuzfahrten – Episode 1: Casablanca -> Palma de Mallorca“ weiterlesen

Vom Rauchen

Meine erste Zigarette rauchte ich mit vierzehn. Ich war als Austauschschüler in England und besuchte die Woking Grammar School für Boys, die es heute nicht mehr gibt. Eine durch und durch traditionelle Schule in einem düsteren Backsteingebäude. Das Tragen eines Schulblazers während des Unterrichts war Pflicht, das Mittagessen wurde gemeinsam mit den Lehrern im Speisesaal eingenommen. Dazu zogen wir uns um; jeder hatte ein zweites Jackett im Spind, das nur beim Essen getragen wurde. Dieses absichtlich zu bekleckern, war verpönt, aber das Kleidungsstück nicht zu reinigen, auch wenn es mit Speiseresten versehen war, gehörte zur Tradition. Alle Jungs rauchten, außer denen in den untersten beiden Stufen. Aber spätestens mit zwölf hatte man in den Club der Raucher einzutreten. Ob das Paffen offiziell verboten war, weiß ich nicht; auf dem Schulhof gab es jedenfalls Raucherecken, die vom Lehrkörper gemieden wurden. [Lesezeit ca. 4 min] „Vom Rauchen“ weiterlesen

Die Anzüge meines Vaters

Manchmal denke ich darüber nach, was aus meinem Vater geworden wäre, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Als er 1947 nach mehr als fünf Jahren Kriegsgefangenschaft in den USA und in England nach Deutschland zurückkehrte, lag seine Zukunft vor ihm wie ein weites, leeres Feld. Was für die Nation eine Stunde Null nach der totalen Zerstörung war, muss ihm vorgekommen sein wie eine Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten. Denn sein Klassenhintergrund spielte keine Rolle mehr. Er konnte alles werden, und so verstand er sich als Aufsteiger, als einer, der seine Vergangenheit als Arbeiterkind hinter sich lassen und zum Bürger der Mittelschicht werden konnte. [Lesezeit ca. 7 min] „Die Anzüge meines Vaters“ weiterlesen

Frühe Lektüre

Das ist das Buch „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck, eine Auflage für einen Buchclub, in dem mein Vater Mitglied war. Es ist einer der ersten Romane, die ich gelesen habe. Das dürfte 1961 oder 1962 gewesen sein; ich war also acht oder neun Jahre alt und hatte keine Angst vor dicken Schinken, denn in diesen Kinderjahren habe ich auch „Früchte des Zorns“ von Steinbeck, „Onkel Toms Hütte“ von Harriett Beecher-Stowe und „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift gelesen. Alles keine ausgesprochenen Kinderbücher. [Lesezeit ca. 2 min] „Frühe Lektüre“ weiterlesen

Frühling in Minsk

Wir sehen eine junge Frau mit dunklem Haar und dunklen Augen im Sommerkleid im Kreis von fünf anderen jungen Frauen. Die Dunkelhaarige ist meine Mutter. Auf der Rückseite des Fotos steht nur: Hildburghausen 1941. Sie sieht fröhlich aus auf dem Bild, beinahe übermütig, und alle sechs Frauen scheinen getanzt zu haben. Wenn ich mich recht erinnere, hat meine Mutter erzählt, dass sie ihre Ausbildung zur Telefonistin dort bekommen hat. Nach allem, was ich recherchiert habe, dauerte diese Ausbildung sechs Monate. Danach wurde sie ins besetzte Minsk, der Hauptstadt Weißrutheniens, wie Belarus in der Nazizeit genannt wurde, eingesetzt. Es war für sie eine glückliche Zeit. [Lesezeit ca. 3 min] „Frühling in Minsk“ weiterlesen

Mahlzeit

Tante Meta und Onkel Martin waren geizig. Das sagten alle. Aber Onkel und Tanten kann man sich nicht aussuchen. Vor allem, wenn sie immer dabei sind. Und Tante Meta und Onkel Martin waren immer dabei. Wenn wir Oma besuchen fuhren, quetschten wir Kinder uns ins Auto. Onkel Martin saß vorne neben Vati, und einer von uns musste bei ihm auf dem Schoß sitzen. Das war sehr unangenehm. [Lesezeit ca. 3 min] „Mahlzeit“ weiterlesen

Marianne und ich (Fragment)

Es war Robby, der mich überredet hat, das hier aufzuschreiben, in unserem Stammlokal nach seiner Rückkehr von einer großen Reise einschließlich Transatlantik. Er hatte sich inzwischen auf mittelalte Passagierinnen spezialisiert, allein reisende, nicht zu attraktive. Eine davon eine Niederländerin namens Nele, die er fotografieren durfte. Am zweiten Tag der Atlantiküberquerung erotisch, am fünften dann pornografisch. Er zeigte mir die Bilder und meinte: Na, sieht doch aus wie Marianne. Da er Marianne nie persönlich kennengelernt hatte, das wurde mir klar, hatte er eine Vorstellung von ihr, die aus meinen vielen Erzählungen über sie und mein Leben mit ihr stammte. So groß war aber die Ähnlichkeit eigentlich nicht. Wenn ich mir allerdings Neles Gesicht wegdachte, was mir auf den späteren Fotos nicht schwerfiel, weil der Fokus auf anderen Regionen lag, dann sah ich Mariannes Körper wie ich mir vorstellte, dass er inzwischen aussah. [Lesezeit ca. 24 min] „Marianne und ich (Fragment)“ weiterlesen

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