Montreux, der Jazz und ich

Ich war noch nie in Montreux, und ich werde wohl nicht mehr dorthin kommen. Seit ich Smoke on the Water gehört habe, wollte ich immer zum Festival nach Montreux. Es hat sich nicht ergeben. Zu gern hätte ich dort Frank Zappa und Deep Purple gesehen und gehört. Aber als die dort spielten und das Casino abbrannte, war ich noch zu jung, um dorthin reisen zu können. Außerdem faszinierte mich, dass es sich um ein Jazz-Festival handelte. Ich hatte Jazz-Musik beim Onkel kennengelernt. Der hatte eine riesige Musiktruhe mit Radio und einem Plattenspieler, auf dem er die alten 78er, aber auch schon die neuen Singles abspielen konnte, Langspielplatten allerdings nicht. Seine Sammlung an Jazz-Platten war gewaltig. Als ich einmal übers Wochenende bei ihm und der Tante war, habe ich versucht, die Scheiben zu zählen; es waren wohl fast tausend Stück. [Lesezeit ca. 2 min]

Und was die Stilrichtungen anging, war der Onkel nicht festgelegt. Da gab es traditionellen New-Orleans-Jazz, Dixieland und Blues, aber auch Swing, Bebop und Cool. Zu vielen Musikern konnte er Geschichten erzählen. So lernte ich nicht nur Louis Armstrong und Duke Ellington kennen, sondern auch Billie Holiday, Bessie Smith und Ella Fitzgerald. Mir half das sehr, als ich in der Obertertia im Musikunterricht ein Referat über Jazz zu halten hatte, das dann natürlich mit einer Eins benotet wurde; nicht zuletzt, weil ich mir zu jeder Stilrichtung eine Platte beim Onkel ausgeliehen hatte und zum Vortrag auflegte.

Irgendwer hat mal gesagt: An Jazz muss man sich gewöhnen. Aber, wenn man sich an ihn gewöhnt hat, wird man ihn immer verstehen. So ging’s mir. Natürlich mochte ich in den Sechzigerjahren auch die Beatmusik, aber als die erste Blues-Welle aus England zu uns herüberschwappte, wusste ich: Das ist meine Musik. Und dann kam die Soulmusik – zunächst eine rein schwarze Musik. Die riss mich mit.

Kürzlich sah ich eine Dokumentation über Claude Nobs, den Erfinder und langjährigen Leiter des Festivals. Die Originalaufnahmen reichten zurück bis ins Jahr 1966, dem Jahr, in dem sich – so vermute ich – mein Musikgeschmack endgültig herausbildete. Denn erstens wünschte ich mir nun von der Verwandtschaft Schallplatten zum Geburtstag, und zweitens konnte ich mir die ersten LPs leisten: Living the Blues von Canned Heat und der Sampler That’s Soul von Stax-Records.

Und nun sah ich in der Dokumentation all die Heldinnen und Helden der Jazz-, Blues- und Soul-Musik jener Jahre: Nina Simone, die ich zutiefst verehre, Ella Fitzgerald, Etta James, Count Basie, Oscar Peterson, Miles Davis, Wayne Shorter, B.B. King, Muddy Waters, Canned Heat, Herbie Hancock. Und später, als Nobs das Spektrum ausgeweitet hat, Prince, Stevie Wonder, David Bowie und Santana.

Vielleicht ist es auch gut so, dass ich nie beim Jazz-Festival in Montreux war. Vermutlich hätte mich ein erster Besuch süchtig gemacht, und ich hätte jedes Jahr hinfahren müssen. Was das gekostet hätte! So habe ich diesen wunderbaren Film über Claude Nobs und meine Platten, von denen ich seit einiger Zeite jeden Tag genau eine auflege und mir dann anhöre, ohne irgendetwas anderes zu tun.

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