Hautfarben

Vor ein paar Jahren hatte Silke einen Aquarellierkurs belegt. Die Dozentin war eine ältere Dame mit grauen Haarschnecken über den Ohren. Im dritten Semester ging es um das Porträtieren, und die Kursleiterin sagte in jeder Stunde mindestens einmal das Wort hautfarben. Silke konnte damit nichts anfangen. Als ob die Haut eine Farbe habe. Wann immer sie Leute nackt oder nur in Badebekleidung gesehen hatte, wat ihr aufgefallen, wie viele verschiedene Farben die Oberfläche eines Menschen aufwies. Aber die Lehrerin hatte eine bestimmte Vorstellung von Hautfarbe und wollte sie ihren Schülern aufzwingen. Das gefiel Silke nicht, und sie nahm sich vor, nur noch dunkelhäutige Personen zu malen und begann mit einem Selbstporträt.

Als sie Olaf zum ersten Mal unbekleidet sah, erschrak sie. Dabei hätte sie es erwarten können angesichts seiner dünnen, rötlichen Kopfhaare und dem hellen Schein seines Gesichts. Aber als er nackt vor ihr stand, dachte sie nur: kleines rosa Schweinchen. Und wäre dieser schlanke Mann für sie nicht aus anderen Gründen so attraktiv erschienen, sie hätte ihn vermutlich davongejagt. Du bist schön, hatte ihr die Mutter immer und immer wieder gesagt seit Silke ein ganz kleines Mädchen war. Du hast eine Haut wie Mokkaeis. Ihr selbst war nur aufgefallen, dass sie sich äußerlich von den anderen Kindern in der Kita unterschied, und dass dieser Unterschied auf irgendeine Weise immer eine Rolle spielte.

Erst als sie knapp zwölf war, als sie zum ersten Mal ihre Periode hatte, ihr Schamhaare wuchsen und Brüste, zeigte die Mutter ihr ein Foto des Vaters, von dem es immer geheißen hatte, er habe fliehen müssen, nach Afrika. Da sei sie gerade einmal vier oder fünf Monate alt gewesen. Sie wusste also, dass dieser Jaques Bumako ein Afrikaner war. Und natürlich hatte sie auch schon das Wort Neger gehört und gelernt, dass helle Menschen so ihresgleichen nennen, wenn sie diese beleidigen wollen. Oder auch, dass sie eine Schwarze sei. Als das eine Lehrerin in der Grundschule vor der Klasse gesagt hatte, war sie zuhause auf den Hocker im Bad geklettert und hatte lange ihren Körper gemustert, aber festgestellt, dass nicht ein Fitzelchen an ihr schwarz war.

Ihr Vater, der war schwarz, tiefschwarz sogar, aber sie vermutete, dass es an dem Foto lag. Nein, sagte die Mutter, Jaques war wirklich sehr, sehr dunkel. Sie saßen zusammen am kleinen Tisch auf dem Balkon, und ihre Mutter wollte ihr etwas erklären. Siehst du, sagte sie, mein Kaffee, der ist ganz schwarz, so wie dein Vater, und die Milch hier, die ist weiß, heller noch als meine Haut. Wenn ich jetzt Milch in den Kaffee gieße und umrühre, dann kommt deine Farbe dabei heraus. Du bist die beste Mischung, die man sich vorstellen kann.

Wenn sie mit Olaf Sex hatte, konnte sie nicht anders als immer wieder hinzusehen, wenn sich seine helle und ihre milchkaffeebraune Haut berührte, wenn diese Farbtöne aufeinanderprallten. Und sie stellte sich vor, wenn sie es nur hart genug miteinander trieben, dann könnten sich sein Rosa und ihr Braun miteinander vermischen. Tatsächlich aber stand dieser Unterschied für eine unüberwindbare Grenze. Denn weder Silke, noch Olaf trauten sich je, darüber zu sprechen. Bis zu dem Tag, als sie aus dem Restaurant kamen, es war bereits dunkel, und ein Mann in dunkler Kleidung sie beschimpfte und anbrüllte: Geh doch dahin, wo du herkommst, Negerfotze!

Nun sah Olaf nicht aus wie einer, der zuerst zuschlug, wie ein Kämpfer oder Personenschützer. Aber kaum hatte der andere seinen Hass aus sich herausgeschrien, griff ihr Liebster ihn an und versetzte ihm einen Hieb mitten auf die Nase, sodass das Blut aus beiden Nasenlöchern strömte. Olaf hatte den Typen an den Aufschlägen seiner Jacke, schüttelte ihn hin und her und fauchte ihn an: Nie wieder! Nie wieder sagst du sowas zu meiner Freundin! Nie wieder sagst du das zu irgendwem. Hörst du? Dann gab er dem Kerl einen Stoß, dass dieser rückwärts zu Boden ging und hart auf dem Pflaster aufschlug.

Schweigend gingen sie weiter. Aber auch in dieser Nacht, in der seine helle und ihre dunkle Haut aufeinanderprallten, sprachen sie nicht über den Unterschied. Silke aber fühlte sich bei Olaf ganz und gar in Sicherheit und wünschte sich nun, sie könnten Kinder haben, neue Mischungen.

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