Hahnenkampf

Es war eine dieser Gruppen, bei denen zwei Kerle das Wort führen und immer darauf schielen, ob die Frauen am Tisch sie toll finden. Leider hatten sich die fünf Männer und vier Frauen an dem langen Stehtisch in der Schwemme angesiedelt, an dessen Kopfende ich meinen Stammplatz habe. Und weil sonst nichts Besseres frei war, hatte ich mich dort niedergelassen. Die Herren redeten ständig ein bisschen zu laut und lachten zu heftig, und der eine versuchte ständig besonders witzig zu sein. Drei der Damen hockten nebeneinander auf der Bank wie die Hühner auf der Stange und gackerten kollektiv, wenn einer der Jungs einen lustigen Satz in die Runde geworfen hatte. Dann gingen zwei Frauen zusammen aufs Klo, die Sitzordnung veränderte sich, und plötzlich saß sie neben mir – wir beide übereck am Tischende.

Ich wusste, dass sie Gina hieß, weil der eine der Hähne alle paar Minuten „Ne, Gina, ist doch so…“ in ihre Richtung rief. Manchmal nickte sie dann, und während sie anfangs ab und an noch ein amüsiertes Lächeln gezeigt hatte, vermittelte ihr Gesichtsausdruck jetzt nur noch Langeweile. Sie erinnerte mich vage an eine Fernsehköchin, deren Name ich vergessen habe. Besonders das rundliche Gesicht mit den kleinen, klugen Augen und die schwarze Kurzhaarfrisur. Der Köbes brachte eine neue Runde, und ich prostete ihr eher zufällig zu. Sie lächelte kurz, bevor sie am Glas nippte. Das war mir schon zuvor aufgefallen. Wie sie trank: Setzte das Bier an und nahm dann drei, vier kurze Schlucke, hielt das Glas dann ein Stück vom Gesicht entfernt und musterte es, als wolle sie genau feststellen, wie viel sie denn gerade getrunken hatte.

Einer der Typen, die um keine bestimmte Anwesende buhlten, sondern einfach nur ihrem Testosteron freien Lauf ließen, brach in grölendes Gelächter aus und hieb mit der flachen Hand auf den Tisch. Die Damen, die von dem Toilettenbesuch zurückgekehrt waren und sich wieder einsortiert hatten, kreischten. Und der möglicherweise Intellektuelle in der Runde schob einen komplizierten Satz nach, den niemand wirklich hörte und schon gar nicht verstand. Zunehmend begannen die Sätze der Hahnenkämpfe mit „Hab ich…“, und es fielen die Namen von Automarken und Zahlen, die wohl Euro-Beträge meinten. Gina war inzwischen beinahe um die Ecke gerutscht. Sie hatte den Schnaps nicht angerührt, den irgendjemand lagenweise anliefern ließ. Sie zeigte auf eines der Gläser und sah mich auffordernd an. Dabei gab sie ein kleines Geräusch von sich, das irgendwo zwischen Gurren, Schnurren und Brummen lag.

Ich schüttelte den Kopf und leerte mein Altbierglas. Dann sah ich ihr direkt ins Gesicht und sagte ohne auch nur eine Sekunde nachzudenken: Du gefällst mir. Ach, du Schande, dachte ich sofort, da hast du deinen plattesten Anmachspruch gebracht. Wie peinlich! Aber Gina erwiderte meinen Blick und sagte sanft: Du gefällst mir auch. Die Situation geriet außer Kontrolle, schien mir, und ich nickte nur ein bisschen blöde. Ich holte die Zigaretten aus der Tasche, zeigte ihr die Packung und sagte: Ich geh mal eine rauchen. Draußen redete ich ein bisschen mit Sigi, meinem Lieblingskellern, dann stand ich da allein mit meiner Kippe und beobachtete die Passanten.

Hast du eine für mich? Ihre Hand hatte meine Schulter nur leicht berührt, aber Ginas Stimme erschütterte mich. Vermutlich nennt man es eine Altstimme. Und es kam mir vor, als kämen die Worte nicht aus dem Mund, sondern entstünden deutlich weiter südlich. Jetzt stand sie also neben mir, etwa genauso groß wie ich. Wir rauchten schweigend. Ganz schön stark, sagte sie zwischendurch. Ja, antwortete ich, Filterlose, schwarzer Tabak. Hab das Rauchen vor zwei Jahren aufgegeben, merke sie an. Ich drückte meine Kippe aus. Gehörst du immer zu dieser Truppe? fragte ich. Sie lachte ein fast lautloses Lachen: Um Himmelswillen, nein! Sind bloß Kollegen, und ab und an muss ich auch mal mitgehen – Teambuildung-Maßnahme, verstehst du. Ich nickte. Du heißt Gina, richtig? War ja wohl nicht zu überhören; „Ne, Gina, ist doch so…“ sagt der Diekmeier immer. Penetrantes Arschloch. Einer von der Sorte, die einen ungefragt wissen lassen, dass sie Single sind … und für jeden Spaß zu haben. Sie machte eine Geste, als müsse sie sich übergeben.

Und du? Eh ich es stoppen konnte, entfuhr es mir: Bin auch Single… Gina gab wieder dieses Lachen von sich, in das ich mich augenblicklich und auf ewig verliebte. Ich wollte bloß deinen Namen Wissen, nicht deine Lebensgeschichte hören. Albert, sagte ich, ich bin der Albert, du kannst Albert zu mir sagen, aber ich höre auch auf Ali, Bert, Einstein, Schweizer oder Camus… Oh, so viele Spitznamen! Tja, sagte ich, sucht man sich nicht aus. Eigentlich bin ich mit meinem echten Vornamen ganz zufrieden. Und bei dir: Abkürzung für Georgina? Sie zeigte beide Daumen: Hundert Punkte, da kommen maximal fünf Prozent der Leute drauf. Ich hielt ihr die Packung hin, aber sie schüttelte nur den Kopf. Ich steckte mir noch eine an, und als Sigi vorbeikam, nahm ich zwei Bier vom Tablett und stellte sie auf den Tisch zwischen uns. Kommt von meinem Großvater: Giorgio, den sie alle Gino nannten. Du bist Italienerin? Si, si, gab sie zurück, zu einem Viertel, also dem Opaviertel…

Unser Gespräch erstarb. Ich sog an der Kippe und trank ab und an von meinem Altbier. Gehen wir wieder rein? fragte ich. Sie zuckte mit den Schultern. Gina gefiel mir immer mehr, aber ich spürte, dass ich jetzt keinen Fehler machen durfte. Musst du wieder zu den anderen? Sie legte den Finger an die Nase, als müsse sie nachdenken. Und nach einer Weile mit einem Grinsen: Äh, nein. Plötzlich stand der Typ im Karohemd neben uns. Na, Gina, mal eine rauchen? sagte er. Musste Diekmeier sein. Er wechselte auf ihre Seite des Stehtisches und nahm Tuchfühlung auf. Nun bin ich ja eher nicht einer von den Männern, die sich aufplustern müssen. Aber der Kerl machte mich aggressiv. Er redete auf Gina ein ohne mich auch nur ansatzweise zu beachten. Den Kopf leicht schräg gelegt, den Körper schon halbkreisförmig um sie herum angeordnet – Anbaggern auf die grobe Weise.

Siggi stellte drei Bier hin und wollte die Striche auf meinen Deckel machen. Nur zwei davon auf mich, Siggi, sagte ich. Hast du auch einen Deckel, fragte der Kellner Diekmeier. Gehen alle auf mich, krähte der fröhlich. Ich möchte kein Bier von ihnen ausgegeben kriegen, sagte ich. Ich auch nicht, warf Gina ein. Siggi verteilte die Striche entsprechend. Gina wechselte auf meine Seite, und in einem Anfall von Mut legte ich einen Arm um ihre Taille. Diekmeier schäumte innerlich. Dein neuer Lover, Gina? fragte er. Sieht so aus, gab sie zurück. Der Typ leerte sein Glas auf einen Zug, knallte es auf den Tisch und verzog sich. Und jetzt? fragte ich. Und jetzt, antwortete Gina, gehst du rein, holst deine Sachen und meine Tasche und dann verschwinden wir von hier.

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