Klaus auf Kuba (1)

Viele Menschen in seiner Umgebung finden Klaus attraktiv. Aber er selbst bekommt das nicht mit. Und wenn er es mitbekäme, dann würde er es nicht glauben oder abstreiten. Er sieht sich selbst nicht im Spiegel, nicht einmal wenn er beim Rasieren hineinschaut. Eigentlich müsste er sich bewusst sein, dass man ihn für gutaussehend hält. Denn er war ein außergewöhnlich niedlicher Säugling und ein hübsches Kind, und oft genug hatten ihm Verwandte mitgeteilt, er sein ein schöner Mensch. Klaus beschäftigte sich nicht damit, so wie er sich auch sonst nicht mit seinem äußeren beschäftigte. Er war mehr berüchtigt als berühmt für seine karierten Hemden und die altmodischen Schuhe. Weil er aber keine Freunde hatte, erfuhr er nicht, was die Leute von ihm hielten.

Schon in der Kindergarten- und Schulzeit waren ihm Freunde erspart geblieben. Nicht dass er jemand gewesen wäre, der außerhalb der Gemeinschaft steht oder gar ein Mobbingopfer. Es hatte sich einfach nicht ergeben, dass irgendein anderes Kind das Bedürfnis gehabt hätte, öfter mit ihm zusammen zu sein oder irgendwelche Aktivitäten und Geheimnisse zu teilen. Er war dann auch der einzige aus dem Jahrgang, der unmittelbar nach dem Zehnte-Klasse-Abschluss eine Berufsausbildung begann, durch die alle alten Kontakte schnell abrissen. Eher zufällig war er so Speditionskaufmann geworden, spezialisiert auf internationale Bahnfracht. Weil er der einzige Experte auf diesem Gebiet in der Firma war, hatte er auch keine Kollegen, mit denen er enger zu kooperieren hatte.

Klaus hat sich in diesem Leben eingerichtet. Einsam ist er nicht. Er geht oft unter Menschen, hat sogar eine Stammkneipe, wo man ihn kennt und grüßt. Allerdings ist er in keinem Club Mitglied. Weder sammelt er etwas, noch kann er sich für etwa so richtig begeistern, dass er Fan von irgendetwas wäre. Er liebt sein Auto, auch wenn es sich um einen ganz normalen, einfachen Kleinwagen einer koreanischen Marke handelt. Ins Kino geht er gerne, gelegentlich auch ins Theater oder zu einem Comedian. Manchmal schaut er sich einen romantischen Film auf DVD an, und wenn es traurig wird, dann weint er auch ein bisschen. Wobei er sich immer wieder fragt, was denn das Besondere daran sei, mit einem Partner ein Paar zu bilden. So weit er es beurteilen kann, liegt der einzige Vorteil einer Partnerschaft darin, nicht allein zu leben. Wenn es einen also nicht stört, allein zu leben, wozu soll man dann mit jemandem zusammen ein Paar bilden.

Nur manchmal, da spürt er deutlich, dass ihm etwas fehlt. Vermutlich, so denkt er dann, ist es das, was man Liebe nennt. Vielleicht, vermutet er, ist es gar nicht, dass er vermisst geliebt zu werden, sondern dass er niemanden hat, dem er seine ganze Liebe geben kann. Denn tief im Inneren ist er voll von dieser Liebe. Und außerdem hat er Sehnsucht nach einer Frau. Klaus ist vierunddreißig und entdeckt er seit einigen Jahren das Besondere an den Frauen. Also das, was einen heterosexuellen Mann an einer Frau anzieht. Es begann mit der neuen Kollegin in der Abteilung Container, die im selben Großraum wie er angesiedelt ist. Frau Siepmann hieß sie und schloss sich der Gruppe an, die praktisch jeden Mittag gemeinsam in der Pause zum Essen ging. Auch Klaus ging an zwei oder drei Tagen in der Woche mit.

Dann saßen sie eines Tages beim Griechen nebeneinander, und sie sagte: Hi, ich bin die Angelika; meine Freunde nennen mich Geli. Später stellte sich heraus, dass Geli fast zehn Jahre älter ist als er, alleinerziehende Mutter mit zwei schulpflichtigen Kindern, zweimal geschieden. Bald gingen sie fast jeden Tag gemeinsam in die Pause. Meist nicht mehr mit den Kollegen, sondern zu zweit, runter an den Fluss. Geli brachte Butterbrote mit und Obst- und Gemüsestücke in der Tupperdose, während er für die Thermoskanne mit dem Milchkaffee sorgte. Sie erzählte ihm alles über ihren Alltag, über ihre Sorgen, aber auch über die schönen Erlebnisse. Er hatte nichts zu erzählen, hörte aber gern und konzentriert zu. Manchmal sagte er: Da kann ich dir auch nicht raten. Oder: Wenn ich nur wüsste, wie ich dir helfen kann. Sie war eine selbstbewusste, fröhliche Frau. Und er fand sie sehr, sehr schön.

Dann lud sie ihn zum Essen bei sich zuhause ein, aber es wurde ein schrecklicher Abend. Die Kinder waren bei Schulfreunde. Sie hatten einen romantischen Tisch gedeckt und eine CD mit sanfter Kuschelmusik aufgelegt. Hübsch hatte sie sich gemacht, aber das gefiel ihm gar nicht. Das war nicht mehr die Geli, mit der er die Arbeitstage verbrachte. Er spürte, dass sie vor allem ein sexuelles Interesse an ihm hatte. Das hatte er schon an ihrem Parfüm und der Kleidung gemerkt, aber auch an ihrem Verhalten, das er irgendwie schleimig fand. Ihm war unwohl in der Situation. Also log er nach dem Dessert, er bekomme wohl gerade eine Grippe, habe Kopfschmerzen und wolle ins Bett. Ja, antwortete sie, dann gehen wir eben schon jetzt gleich ins Bett. Klaus floh, und Frau Siepmann ließ sich in einer andere Niederlassung versetzen.

Irgendwo hatte er gelesen, dass eine Partnerschaft für den Mann ideal sei, in der die Frau ihm gleichzeitig Gefährtin und Geliebte sei. In den Monaten mit Geli hatte er kennengelernt, wie es sich anfühlt, eine Frau zur Freundin zu haben. Davor aber, eine Geliebte zu haben, fürchtete er sich. Er wusste ja auch nicht, wie das geht, mit einer Geliebten zusammen zu sein. Dann kam der Tag, als der ledige Herr Borging von der Luftfracht berichtete, er habe Urlaub auf Kuba gemacht, eine herrliche Insel mit wunderbaren Menschen, vor allem schönen Frauen, die er am gern alle geliebt hätte. So aber sei es nur eine gewesen, die ihm zwei Wochen lang Tag und Nacht nicht von der Seite gewichen sei. Details wollte er aber nicht preisgeben.

Also hat Klaus eine dreiwöchige Reise nach Kuba gebucht. All-inclusive in einem Ressort auf Varadero. Sein erster Urlaub in Übersee; bisher hat er Europa noch nie verlassen. Am dritten Tag hat ihn ein junger Typ am Strand angesprochen. Ob er Lust habe, eine Entdeckungstour zu machen. Vier Tage mit ihm als Guide in einem ordentlichen Auto bis runter nach Santiago. Ihm gefiel der Typ, ein langer, dünner Kerl, vielleicht zwanzig Jahre alt, der ein Rolling-Stones-T-Shirt trug und insgesamt vertrauenswürdig wirkte. Sie würden auf einer Zuckerrohrplantage übernachten, dann bei Freunden in den Bergen und außerdem bei Verwandten in Dos Bocas. Das alles für zweihundert Dollar. Klaus willigte ein. Der Mann hieß Ramos, das Auto war ein relativ neuer Lada, kaum achtzehn Jahre alt, beige mit roten Kunstledersitzen.

Ramos ist ein exzellenter Autofahrer, der im wilden Überlandverkehr mitschwamm wie eine Schildkröte unter lauter Haien. Und er redet ununterbrochen. Sein Deutsch ist recht gut, auch wenn er es mit einem starken Akzent spricht. Seine Eltern, erzählt er, hätten beide in der DDR studiert und jeweils fünf oder sechs Jahre dort gelebt; die Mutter in Wismar, der Vater in Eisleben, wo er an der Bergschule studierte. Kennengelernt haben sich die Eltern allerdings erst wieder auf Kuba; bei einem deutsch-kubanischen Freundschaftsfest in Santiago. Der Vater seiner Mutter habe mit gekämpft in der Revolution, an der Seite von Fidel und Che und sein ein echter Revolutionsheld. Deshalb habe die Familie das Haus in der Altstadt auch für sich behalten dürfen. Die Familie seines Vaters sei dagegen erst 1962 nach Kuba eingewandert. Der Großvater, ein glühender Sozialist, war vor dem Battista-Regime nach Venezuela geflohen. So erfährt Klaus auf den staubigen Straßen alles über Ramos und seine Familie.

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