Dieser Tage wachte Monika in der beginnenden Morgendämmerung auf stellte fest, dass Bernd auf dem Rücken lag und leiste schnarchte. Sie erschrak und setzte sich auf. In den mehr als 30 Jahren, in denen sie mit ihm das Bett geteilt hatte, war das noch nie geschehen. Immer schlief er auf dem Bauch. Manchmal auch auf seiner rechten Seite, den Arm lang ausgestreckt. Und geschnarcht hatte er noch nie. Monika war schockiert und wusste, dass nichts mehr so sein würde wie zuvor. Leise stand sie auf, um sich einen Tee aufzusetzen. Gegen vier saß sie auf der Terrasse, in eine Decke gewickelt, und hörte den frühen Vögeln zu.
Zwischendurch stand sie ein paar Mal auf und sah von außen durch die Terrassentür am Schlafzimmer. Bernd lag noch immer auf dem Rücken und hatte die Arme vor der Brust gekreuzt. Die dünne Frühjahrsdecke hob und senkte sich gleichmäßig über seinem mächtigen Bauch. Sie würden ihn später fragen, ob er etwas geträumt habe. Er würde keine Antwort geben, weil er seiner Frau noch nie von seinen Träumen erzählt hatte und das auch nie tun würde. Seine Träume waren sein persönliches Eigentum, die gingen niemanden etwas an, nicht einmal Monika.
Manchmal stieg er tief hinab in seine Träume, fuhr ein wie ein Bergmann in den Schacht. Dunkle Orte, hoffnungslos, gefährlich und grausam. Manchmal war er das Opfer, genauso oft ein Täter. Es gab Träume, die hatte er zum ersten Mal als junger Mann geträumt, und sie kamen regelmäßig wieder. Die Figuren in diesen alten Träumen waren immer nackt, immer weiß und selten freundlich. Und es gab da eine Höhle mit einem See. Kristallklares, handwarmes Wasser. Und eigentlich versuchte er in jedem dieser Träume, genau diese Höhle mit diesem See zu finden, um seinen Frieden zu finden.
Natürlich machte sich Monika Sorgen. In irgendeiner Apothekenzeitschrift hatte sie davon gelesen, dass eine Veränderung der Schlafposition in aller Regel Zeichen für eine massive Veränderung des Lebens sei. Was sollte sich an Bernds Leben massiv ändern, außer dass er sie verließe? Ihr gemeinsames Leben bestand nur daraus, ein Paar zu sein. Sie waren beide nicht mehr berufstätig, die Kinder waren aus dem Haus. Er hatte schon mit achtundfünfzig seinen Beruf aufgeben müsse. Und in den fünf Jahren seiner Krankheit hatte Monika ihn rundum die Uhr gepflegt und dafür ihre Stelle aufgegeben. Ein unerwarteter, wenn auch nicht sehr großer Lottogewinn, den ihr Sohn Holger gewinnbringend angelegt hatte, erlaubte ihnen ein sorgenfreies Leben. Bernd war inzwischen wieder ganz hergestellt. Die halbjährliche Generaluntersuchung erbrachte schon seit Langem glänzende Ergebnisse.
Sie ahnte, dass ihr Mann im Geheimen immer wieder darüber nachgedacht hatte, den Rest seines Lebens ohne sie zu verbringen. Weg zu gehen. In ein fernes, warmes Land. Also genau dorthin, wohin sie nie hin reisen würde und nie sein wollte. Ihre Allergien hatten sich über die Jahre nicht verschlimmert, sodass sie mit den heimischen Gegebenheiten gut zurecht kam. Aber eine fremde Flora, hohe Temperaturen, eine hohe Luftfeuchtigkeit und zu viel Sonnenstrahlung könnten ihren Zustand erheblich beeinträchtigen. Vor ein paar Jahren hatte Monika überlegt, ihn freizugeben. Ihm zu sagen, es sei in Ordnung, wenn er ginge, sie könne das verstehen. Sie wolle schließlich nur, dass es ihm gutgehe.
Als sie die zweite Tasse Tee vor sich auf den Tisch stellte, war es sechs. Bernd stand in der Tür wie ein Bär nach dem Winterschlaf, mit freiem Oberkörper und in dieser dunkelblauen Jogginghose, die sie hasste. Sie lächelte ihn an. Er kam rüber, drückte ihr einen Kuss in den Nacken und sagte: Schon lange wach, Liebste? Sie drehte ihr Gesicht zu ihm und schloss die Augen. Er küsste sie auf den Mund. Ja, bin durch das frühe Licht aufgewacht und konnte nicht wieder einschlafen. Bernd nickte bedächtig und strich mit der Linken über seinen Fünftagebart. Ich brauch erstmal einen Kaffee. Soll ich dir einen machen, Liebster? Nein, nein, bleib sitzen.
Dann saßen sie schweigend nebeneinander und sahen das ansteigende Sonnenlicht in der schmalen Lücke zwischen den beiden Gehölzen am Feldrand hinter ihrem Garten. Die Katzen des Nachbarn kamen vorbei, und Monika wünschte sich wieder einmal, sie hätten einen Hund. Du hast auf dem Rücken geschlafen, sagte sie plötzlich ohne ihn anzusehen. Bernd antwortete nach einigen Sekunden: Ja, kommt vor. Nein, nein, gab sie zurück und drehte sich auf dem Stuhl zu ihm um, das ist noch nie vorgekommen solange ich mit dir ein Bett teile. Er erkannte das Entsetzen in ihrem Blick und wusste nicht mehr, was er sagen sollte.
Ich geh erstmal duschen, sagte er dann, und anschließend zum Bäcker. Was möchtest du haben, Liebste: Brötchen, Croissants? Monika nickte schwach: Ja, ist gut. Bring beides mit. Ach, und wir brauchen Brot. Frag doch nach, ob sie noch von diesem Landbrot habe, wo man ein Viertel von nehmen muss. Kannst du auch zum Edeka gehen? Wir haben kaum noch Butter. Später stand er vor ihr, helle Hose, dunkelblaues Polo und Segelschuhe an den Füßen und sagt: So, jetzt nochmal. Was soll ich einkaufen. Sie hatte einen Zettel vorbereitet: Steht alles drauf. Als sie das Tor vom Vorgarten zuschlagen hörte, konnte sie die Tränen nicht mehr zurückhalten.