Mit nem Ei im Mund (2)

“Siegfried! Siegfried!“ Seine Mutter winkt von der anderen Straßenseite aus. „Komm mal rüber!“
Siggi wollte sowieso auf den anderen Bürgersteig. Das Ei hat er noch in der Hand. Seine Mutter steht mit der Einkaufstasche vor der Einfahrt zum Bierverlag Treukens. Siggi findet, sie guckt komisch. Außerdem sind ihre Haare zerzaust. Na ja, wäre nicht das erste Mal, dass Mutti nach dem Einkaufen bei Dieter im Getränkelager vorbeischaut.

„Was ist denn?“
„Zum Essen bist du aber zuhause, Siegfried, dass das klar ist!“
„Wann gibts denn Abendbrot?“
„Wenn Vati zuhause ist. So um halb sieben.“
„Und wann ist halb sieben? Ich hab doch keine Uhr.“
„Dann fragst du eben jemand. Und wehe du kommst zu spät. Dann gibts Stubenarrest.“
„Tschö, Mutti. Ich muss dann wieder. Ne Wette!“ ruft Siggi und sprintet los.
Unterwegs schiebt er sich das Ei wieder in den Mund.

Er biegt in die Corneliusstraße, wo gerade die 4 vorbeirumpelt. Siggi freut sich: Die alten Straßenbahnwaggons mit den offenen Perrons sieht er nur noch selten. Wo der Schaffner noch mit einem Geldbehälter vor dem Bauch herumläuft und Sonst noch jemand zugestiegen? ruft. Den Fahrschein von einem Block abreißt, der auf einem Holzbrett an der Geldtasche befestigt ist. Die Münzen mit einem Blick taxiert und sortiert in die Schächte des Behälters schiebt. Für jede Münze gibt es einen Schacht, der mit kleinen Schlitzen versehen ist, durch die man sehen kann, wieviel Münzen in der Röhre sind. Das Wechselgeld gibt der Schaffner durch den Druck auf einen am Hebel am unteren Ende der Röhre frei und lässt es in die Handfläche fallen. Das alles beherrscht der Schaffner mit großer Präzision und Geschwindigkeit.

Wenn Siggi und seine Freunde mit der Bahn ins Schwimmbad an der Kettwiger Straße fahren, warten sie manchmal an der Haltestelle, bis ein Zug aus alten Waggons kommt. Sie mögen die neuen Wagen nicht, bei denen man nur durch die hinterste Tür einsteigen darf, weil dort der Schaffner erhöht hinter einem Schalter sitzt, an dem vorbei muss, wer mitfahren will.

Im Sitzen sind die Schaffner viel strenger. Will Siggi mit fünf Fünfpfennig-Stücken bezahlen, wird er angeschnauzt. Das passiert bei den Schaffnern in den alten Waggons nie. Vielleicht, denkt Siggi, weil fünf Pfennige früher als die alten Waggons modern waren, noch einen Wert darstellten. Und die Schaffner in den neuen Waggons sich daran nicht mehr erinnern konnten. Waren auch meist die älteren Schaffner, die in den alten Waggons mitfuhren.

Allerdings sorgten die dafür, dass Kinder wie Siggi und seine Freunde aufstanden, um älteren Damen oder Kriegsversehrten einen Sitzplatz freizugeben. Dabei waren sie auch ziemlich kaputt, wenn sie vom Schwimmen kamen und hatten einen Sitzplatz genauso nötig wie alte Frauen oder die Männer, die in dunkelgrauen langen Loden- oder Kleppermänteln mit grauen Käppis und dun¬klen Brillen zustiegen, und ein Recht auf den Sitzplatz hatten, weil sie im Krieg gewesen waren.

Siggis Vater war auch im Krieg gewesen. Aber deswegen trug er noch lange keinen Gummimantel oder eine blöde Mütze oder eine Sonnenbrille. Und ein Sitzplatz wurde Siggis Vater vom Schaffner auch nie freigemacht. Sicher, der einbeinige Mann von der Heresbachstraße, der sollte schon sitzen. Konnte ja auf dem Bürgersteig kaum stehen, wie dann erst in der wackeligen Straßenbahn. Für ihn standen alle Kinder auf. Auch, weil er ziemlich schlecht roch (Der hat immer ne Fahne, sagte Siggis Vater). Und weil er die Jungens immer anfassen wollte.

Außerdem murmelte er fortwährend vor sich hin, und Ebse behauptete, der Mann wäre bei den Negern in Gefangenschaft gewesen und habe dort geheime Verhexungssprüche gelernt, mit den er Menschen zu seinen willenlosen Werk¬zeuge machen können – zumindest auf längere Zeit gesehen. Als Preis dafür, dass die Neger ihm ihre Geheimnisse verraten hatten, habe er sein Bein geopfert, das die Neger ihm abgeschnitten, gekocht und verspeist hätten.

Während die Mädchen Ebse diese Geschichte schon glauben wollten, sagte Horsti nur „Du spinnst. Wenn der so mächtig ist, warum ist er dann nicht reich? Warum muss er Straßenbahn fahrn? Warum hat er nur einen Mantel? Warum ist er überhaupt hier und nicht in Amerika?“
Ziemlich unwiderlegbare Einwände, fand Siggi.

Beide Waggons der Bahn, die nun an der Haltestelle zum Stehen kommt, sind leer. Der Schaffner lehnt sich aus der Plattform des vorderen Wagens, um zu prüfen, ob irgendwelche Fahrgäste zusteigen wollen und zieht schließlich an der Lederschnur über der Plattformöffnung. Es klingelt, der Fahrer dreht an der Kurbel, und die Straßenbahn setzt sich wieder in Bewegung.

***

Siggi trabt weiter. Ein Zweitaktmotor knattert. Das Torpedo-Dreirad des Negers fährt an ihm vorbei und biegt ein paar Meter weiter in eine Einfahrt, bleibt aber so stehen, dass der Lieferwagen den Gehweg versperrt. Der Neger steigt aus. Siggi sieht den schwarzen Kopf mit den krausen, grauen Haaren über dem Fahrer¬häuschen. Ehe ihn der Neger noch bemerken kann, drückt sich Siggi in den nächsten Hauseingang.

Der Neger ist ein alter Mann. Sagt Micha. Das habe ihm Dieter erzählt. Der hat ja schon graue Haare, habe Dieter gesagt. Wieso? Warste denn schon mal so dicht dran? habe dann Renate gefragt. Dieter habe nur gelacht und gesagt: Ich hab in Amerika mehr Neger gesehen als ihr jemals in eurem ganzen Leben sehen werdet. Ich kenne die Neger gut. War mit einem sogar befreundet. Sugar Ray (Micha sagt: Schugga Reh) habe der geheißen und sei später ein berühmter Boxer geworden. Ja, und mein Onkel ist Papst, habe Renate geantwortet.

Siggi ist im letzten Sommer mal zu Dieter in den Getränkehandel gegangen, weil er mehr über den Neger wissen wollte.

Wenn man durch die Einfahrt des Bierverlages geht, kommt man am Ende auf einen winzigen quadratischen Hof, der so klein ist, dass man kaum ein Fahrrad darin wenden kann. An der rechten Seite ist ein Stahltor, das fast die ganze Wand einnimmt. Im Tor ist eine Tür eingelassen, durch die man in den Kühlraum des Bierverlags kommt.

Hier stehen meterhoch die Bierkästen und Kästen mit Sinalco-Limonade und Afri-Cola. Auf einer Seite steht ein deckenhohes Metallregal, auf dem die Bier¬fässer gelagert werden. Eine Hälfte des Regals ist rotlackiert, die andere blau. In der roten Hälfte stehen die vollen Fässer, in der blauen die leeren.

An der Decke des Raums ist eine Schiene befestigt, die parallel zum Regal ver¬läuft. Daran ist ein Flaschenzug mit zwei Haken angebracht.

Wenn Dieter eine Lieferung von der Brauerei bekommt, werden die Fässer auf der Straße vom Brauereilaster auf einen schweren Handwagen umgeladen. Dann macht Dieter das Tor zum Kühlraum auf, zieht den Handwagen rein und schließt das Tor schnell wieder, damit nicht zu viel Wärme eindringt.

Der Wagen mit den Fässern wird dann vor das Regal bugsiert. Nun holt Dieter den Flaschenzug heran und lässt die Haken auf die Höhe der Ladefläche herunter. Er legt ein Fass auf die Seite, hakt die Greifer an den Rändern des Fasses ein und zieht den Flaschenzug an. Er bewegt den Kran so, dass das Fass am zukünftigen Lagerplatz am Regal auspendelt.

Nun muss er die Leiter heranholen, zum Fass hochsteigen und es mit den Händen oder einem Metallhaken, den er am Gürtel trägt, ins Regal befördern und die Greifer lösen. Die Regalböden sind gewellt, sodass die Fässer waagerecht liegen¬bleiben, ohne hin und her zu rollen.

Auch die Sinalco- und Cola-Kästen und die Kästen mit Flaschenbier hievt Dieter mit einem Flaschenzug an ihren Platz. Der zweite Flaschenzug hängt an einem Kranausleger, der direkt neben dem Tor an der Wand befestigt ist. Damit baut Dieter Türme aus sieben, acht oder gar zehn übereinanderstehenden Kästen.

Nicht erst diese anstrengende Arbeit hat Dieter zu einem echten Muskelprotz, das findet Siggi jedenfalls, gemacht. Mutti sagt, Dieter war schon immer ein starker Mann.

Dieter ist Muttis Schwager. Oder Schwippschwager. Oder so was. Er ist mit Muttis Schwester, der Tante Ingeborg, verheiratet gewesen. Dieter hat sich mit knapp siebzehn freiwillig gemeldet und ist bei seinem ersten Einsatz am Monte Cassino in Italien direkt in amerikanische Gefangenschaft geraten. Drei Jahre war er in den Staaten – wie er immer sagt. Und wäre nach der Entlassung aus dem Lager in Oklahoma gerne dortgeblieben. Aber das haben die Amis nicht erlaubt.

***

Dieser Sommertag war der heißeste Tag, an den sich Siggi erinnern konnte. „Heut springt das Quecksilber aussem Thermometer“, hatte Vati schon morgens gesagt, „ihr werdet sehen.“

Gegen Mittag hatte jeglicher Verkehr auf der Corneliusstraße aufgehört vor Hitze. Die Bande lungerte im Hof von Siggis Haus herum, denn der lag den ganzen Tag im Schatten, da konnte man es aushalten. Frau Knorrek aus Parterre, die ganz allein in der Zweieinhalbzimmerwohnung lebte, in die sie schon vor dreißig Jahren mit Mann und drei Kindern eingezogen war, hatte ein Kanne kühler Buttermilch vom Milchgeschäft Nassenstein geholt und bewirtete die Sieben durchs Küchenfenster, das auf den Hof hinausging.

Siggi mochte keine Buttermilch. Sicher würde er bei Dieter eine Flasche Sinalco abstauben können, denn was zu Trinken gabs beim Onkel immer. Also schlich Siggi matt durch den Hausflur auf die Straße. Als er die letzte Stufe, die noch im Schatten lag, verließ und den ersten Schritt auf den Gehsteig machten, schien es ihm, als stiege er in einen Teller Suppe. Warme Luft strich ihm um die nackten Beine, setzte sich zwischen den bloßen Zehen in den Sandalen ab, kroch ihm sogar durch den Latz der Lederhose. Ganz dicht an der Hauswand entlang stol¬perte er zur Straßenecke.

Die Hildebrandtstraße lag voll in der Mittagssonne. Kein Schatten, nicht einmal an den Hauswänden, die im Gegenteil Hitze abstrahlten wie Muttis Bügeleisen, wenn sie es senkrecht auf die Ablage des Bügelbrettes stellte.

Rasch in die Einfahrt zum Bierverlag Treukens. An der Tür klopfen und gleich die Klinke drücken. Reingehn in die Kühle. Da saß Dieter in langen Hosen und im Pullover. Siggi war von der Kälte benommen und setzte sich rasch auf einen Stapel leerer Bierkästen.

„Na, Kleiner.“
„Tach, Dieter.“
„Willste ne Sinalco? Cola kriegste nicht, hab ich deiner Mutter versprochen.“
„Gerne.“
Dieter suchte in dem Kasten herum.
„Sollst ja keine ganz kalte trinken. Kriegste Läuse im Bauch von.“

Fand eine Flasche, deren Temperatur ihm richtig vorkam. Sprengte den Kron¬korken an einer Strebe des Metallregals ab. Die Kohlensäure drückte ein bisschen süße Limo aus der Flasche. Es spritzte auf den Boden, der von den Bierresten aus den leeren Fässern im Regal ganz klebrig war. Der Geruch von schalem Bier war stark. Aber Siggi nahm auch den Duft der Holzfässer wahr, in denen sich die Essenzen von Hopfen und Malz fangen. Siggi trank die Sinalco-Flasche in einem Zug aus.

„Noch eine?“ fragte Dieter und reichte ihm gleich eine zweite, schon vorsorglich geöffnete Flasche.
„Und? Was gibts?“
„Du, Dieter, ich wollt dich mal was wegen dem Neger fragen.“
„Wieso fragst du mich?“
„Na ja, weil Micha gesagt hat, du hast Renate erzählt, du hättest einen Neger als Freund gehabt in Amerika.“
„Stimmt. Und?“
„Also kennst du dich doch mit Negern aus, oder?“
„Ja, ich denke schon.“
„Weißt du, Dieter, der Vater von Ebse hat gesagt, der Neger mit dem Schrotthandel muss weg.“
„Und wieso meint Eberhards Vater, dass der Neger wegmuss?“
Siggi überlegte, ob er vielleicht mit dem nächsten Satz ein Geheimnis verraten würde. Zögerte.
„Weil: Ebses Vater sagt, der Neger hat einen Mädchenhandel.“
Dieter lachte.
„Einen was?“
„Mädchenhandel. Weiß auch nicht.“
Und schämte sich jetzt doch, davon gesprochen zu haben.

„Ebses Vater sagt auch, dass der Neger ein Verbrecher ist, wie alle Neger und dass die Neger nach Afrika gehören. So wie die Schlitzaugen nach China, die feigen Itaker nach Italien und der Iwan nach Russland. Und die blöden Bayern hinter die Alpen, sagt er auch noch.“
„Erstens leben Neger nicht nur in Afrika, sondern überall auf der Welt. Und zweitens heißt unser Schrotthändler Willi Scholten, ist nur zur Hälfte Neger, hier in Düsseldorf geboren und hat seinen Schrotthof schon vor dem Krieg gehabt. Ich kannte den schon als Kind. Da hat er seinen Schrott noch mit einem Handwagen vom Karolinger Platz bis zur Corneliusstraße geschoben.“
Siggi war unsicher. Wenn der nur ein halber Neger ist, ist er dann nur ein Halbverbrecher?

Dieter war aufgestanden.
„Alles Quatsch, was der Vater von Eberhard, der komische Herr Lütges, da erzählt. Neger sind genauso viel und genauso wenig Verbrecher wie wir Weißen. Vielleicht sogar eher weniger, wenn ich daran denken, was Lütges vor dem Krieg so alles gemacht hat. Und jetzt will ich nichts mehr davon hören! Kapiert?“
„Ja, Dieter.“
Siggi schwieg. Trank den Rest Limo.
„Dieter. Ich muss dir was verraten. Das mit dem Wagen von dem Schrotthändler, das waren wir. Ich meine: Horsti, Ebse und ich.“
„Was meinst du: Das mit dem Wagen?“
„Im April war doch die Polizei bei dem Neger, ich meine: bei Herrn Scholten. Weißt du doch, oder?“
„Ja, haben ja alle von gesprochen.“
„Hinterher hat Herr Lütges behauptet, das wäre ne Hausdurchsuchung gewesen. Wegen geklauter Sachen und so.“
„Haben auch die anderen Leute gesagt.“
„Der Neger hatte aber die Polizei gerufen, weil er ne Anzeige aufgeben wollte.“
„Wieso? Wen wollte er anzeigen und warum?“
„Einbrecher. Sein Lieferwagen war aufgebrochen worden.“
„Und?“
„Das waren wir.“

Pause. Siggi spürte etwas Saures die Speiseröhre hochkriechen.
„Was ward ihr? Habt ihr den Wagen aufgebrochen?“
Siggi nickte schwach. Dieter wand sich ab und stierte auf das Fassregal.
„Und warum habt ihr das gemacht?“
„Na, weil Ebses Vater doch gesagt hatte, dass der Neger ein Verbrecher ist. Und wir hatten doch einen Detektivklub gegründet. Und wir wollten Beweise finden und der Polizei Bescheid sagen, dass der Neger ein Verbrecher und Klauer ist.“
„Was genau habt ihr angestellt.“
„Der Neger, ich meine: der Schrotthändler, der macht doch immer um zwölf Mittagspause. Genau um zwölf. Wir hatten Osterferien. Und da sind wir um zwölf auf seinen Hof. Dann haben wir in der Bude, wo der Herr Scholten sein Büro hat, durchs Fenster geguckt. Da lag der Neger und hat geschlafen. Und geschnarcht. Da stand sein Torpedo. Weißt ja, dass man die Türen mit nem Schraubenzieher aufkriegt. Wir haben die Beifahrertür aufgebrochen. Und innen drin alles durchwühlt. Da war ganz viel Papierkram. Im Handschuhfach, auf dem Beifahrersitz. Das haben wir alles fein säuberlich in Fetzen gerissen. Dann hat der Ebse mit dem Schraubenzieher die Sitze aufgeschlitzt und mit dem Griff von dem Schraubenzieher das Glas am Tacho eingeschlagen. Und da hat er auch die Fahrertür von innen aufgemacht, ist rausgeklettert und hat in das Fahrerhaus gepinkelt. Und das haben wir beiden auch gemacht. Und dann sind wir abge¬hauen.“

Dieter war aufgestanden.
„Und wer weiß noch davon?“
„Niemand. Nur wir drei und du.“
„Ihr geht noch heute zur Polizei und meldet das.“
Siggi hatte angefangen zu weinen. Die Limo kollerte in seinem Bauch und ihm wurde schlecht.
„Und falls ihr das nicht tut, werde ich mit Herrn Scholten reden und ihm die Sache erzählen. Was wollt ihr lieber?“
Aber Siggi antwortete nicht.
„Komm, hau ab. So einem Blödmann geb ich so schnell keine Sinalco mehr aus. Mit der Mutter red ich auf jeden Fall.“

Dieter hatte Siggi an den Hosenträgern hochgezerrt, mit der einen Hand die Tür geöffnet und den Jungen mit der anderen Hand in den kleinen Hof geschoben. Siggi wollte losrennen, aber seine Beine waren schwach. Mühsam und schwankend stolperte er durch die Einfahrt. Als er aus dem Schatten in das heiße Sonnenlicht trat, kamen ihm die zwei Flaschen Limonade hoch, und er kotzte die Flüssigkeit und auch das Frühstück mitten auf den Gehweg.

Abends hatte Siggi dann alles seinem Vater gebeichtet. Dafür bezog er eine ziemlich derbe Tracht Prügel; Horsti fing sich ebenfalls eine Menge Ohrfeigen vom Lebensgefährten seiner Mutter ein. Nur Ebse wurde daheim nicht bestraft. Siggis Vater besuchte die Eltern der beiden anderen und schlug vor, Herrn Scholten den Schaden zu bezahlen und ihm klarzumachen, dass ein paar Rotzbengel sich nur einen dummen Scherz erlaubt hätten. Herr Lütges war erst bereit, dreißig Mark beizusteuern, als Siggis Vater drohte, die Polizei einzuschalten.

Siggis Vater erzählte ihm ein paar Jahre später, dass Herr Scholten gelacht habe. Dann habe er gesagt, dass alles nicht so schlimm sei, und dass er die Polizei nur wegen der Versicherung gerufen habe. Die Papiere seine sowieso unwichtig gewesen und neue Sitzbezüge hätte sein Torpedo damals grad gut vertragen können. Siggis Vater hatte den Neger dann noch auf ein Bier ins Café Friedchen einladen wollen, aber der habe abgelehnt. In Kneipen fühle ich mich nicht wohl, habe er gesagt, da werde ich angestarrt und wenn ich zurückstarre, kriegen die Leute Angst.

Im Jahr nach dem Überfall auf den Lieferwagen des Negers war Frau Kranz mit ihren elf Kindern (Elf Kinder von fünf verschiedenen Männern, hatte Siggis Mutter einmal gesagt) aus Siggis Haus in die Wohnung von Herrn Scholten gezogen.

(Fortsetzung folgt…)