Zimmer ohne Türen

“Weißt du was eine Tapetentür ist?” Sie hat sich im Bett aufgesetzt, das Kissen zurechtgeboxt und es hinter den Rücken gesteckt. “Stell dir einen Raum vor mit einer gemusterten Tapete. Sitzt du drin, kannst du keine Tür erkennen.” Rouven knurrt. Wie er immer knurrt, wenn Susanne etwas erzählt, wenn er beinahe schläft. Wie sie immer etwas erzählt nach dem Beischlaf, wenn er kurz vor dem Einschlafen ist. Sie hat das aufgeschlagene Buch auf dem Schoß und nimmt die Brille ab. “Ich stell mir das schrecklich vor.” Er dreht sich um und schaut aus dem Kissen zu ihr auf: “Steht das in deinem Buch?” Susanne schüttelt den Kopf. “Wie kommst du denn jetzt auf sowas?”

Vor Jahren hatten sie einmal in einem etwas altmodischen Hotel in V. übernachtet. Ein verbautes Zimmer mit hoher Decke, die Wand mit den Fenstern um Kanal halbrund gebogen. Da hatte sie das Badezimmer nicht gefunden. Die Wände waren früher vermutlich hellgelb gestrichen, aber durch das Leben vieler Menschen in vielen Jahren in diesem Raum gab es Dutzende Schattierungen von ocker bis dunkelbraun. Die Tür zum Bad war ähnlich verfärbt und hatte einen ehemals weißen Knopf um Öffnen. “Das war aber keine Tapetentür, meine Liebe.” Rouwen sitzt auf der Bettkante und betrachtet seinen Penis. “Brauchst du was aus der Küche?” Susanne überlegt einen Moment und sagt dann: “Ja, bring mir doch ein Glas von diesem neuen Weißwein mit.”

Sie denkt an einen leeren Kubus, dessen Innenseite alle gleich groß sind und alle mit derselben Tapete versehen. Keine Fenster, keine sichtbaren Türen. Sie würde Rouwen draußen hören, wie er barfuß über den Steinboden geht. Wie er sich räuspert. Komm doch rein, würde sie rufen. Wo ist die Tür? würde er fragen. Susanne sieht sich in einem schneeweißen Overall wie sie an die Wand tritt und ringsum alles sorgfältig abtastet. Dann erkennt sie eine Luke in der Decke des Raums, eine feine Lichtlinie ringsum. Du musst von oben reinkommen! würde sie rufen. Stattdessen öffnet sich eine Klappe im Fußboden, und ihr Geliebter klettert ins türlose Zimmer.

“Das Merkwürdige an einer Tapetentür,” sagt sie, “ist doch, dass sie von außen aussehen kann wie eine ganz normale Tür; aus Holz mit dickem Rahmen und richtiger Klinke.” Er lehnt am Kopfteil und hört ihr zu. “Ich habe noch nie eine Tapetentür in echt gesehen,” sagt Rouwen und nimmt einen Schluck aus der Bierflasche. “Wollen wir was rauchen?” Susanne schüttelt den Kopf: “Mach ruhig.” Er fischt eine Stummel aus dem Aschenbecher und zündet ihn an. Nimmt einen tiefen Zug und stößt den Rauch nach ein paar Sekunden wieder aus. “Hier, nimm schon. Ist nicht gut, allein zu kiffen.” Später schlafen sie noch einmal miteinander.

Susanne träumt wieder von der Nacht auf einem Unterseeboot. Rouwen ist der Kapitänleutnant, ist im Traum dunkelblond und trägt einen fleckigen Bart. Jedes Mal, wenn sie den langen schmalen Gang durchs Boot entlanggeht, sieht sie die Matrosen in den Kojen und Hängematten, die ihr nachschauen. “Wer meine Braut anfasst,” hat der Kaleu gesagt, “wird von mir eigenhändig ersäuft.” Es gibt keine Türen in diesem U-Boot, selbst die Kabine, in der sie jede Nacht mit Rouwen schläft, ist vom Fahrstand nur durch einen olivgrünen Vorhang getrennt. Wenn sie kommt und schreit, hört sie danach das Stöhnen der Männern an Bord.

Rouwen hat im Schlaf einen Arm quer über ihren Bauch gelegt und ein Bein über ihre Oberschenkel. Sie sieht keinen Ausweg mehr und wünscht sich, er würde einfach so aufwachen, sich erheben und ankleiden und dann für immer gehen.

Schreibe einen Kommentar