Ja, ich gestehe: Ich bin immer noch Pazifist und werde es auch für den Rest meines Lebens bleiben. Auch wenn Kriegsertüchtigungsminister und ihre Nachplapperer diese Haltung abwertend „Vulgärpazifismus“ nennen. Selbst in Zeiten, in denen Robert Habeck und Campino erklären, heutzutage würden sie den Kriegsdienst nicht mehr verweigern. Ich habe diesen Kriegsdienst in den Siebzigerjahren verweigert, und es hat acht Jahre in drei Instanzen gedauert, bis man mich als KDV anerkannt hat. Immer noch lehne ich jede Form kriegerischer Auseinandersetzung ab. Immer noch gilt, was ich in der ersten Instanz zu Protokoll gab und was bei den Prüfern ungläubiges Staunen auslöste: Ich würde lieber unverletzt in einem besetzten Land leben als bei der militärischen Verteidigung seiner Freiheit verwundet zu werden oder zu sterben. [Lesezeit ca. 2 min]
Um es klarzustellen: Das ist eine persönliche Haltung, keine politische Position. Die politische Komponente meines Pazifismus‘ besteht darin, dass ich spätestens seit meinem Engagement in der sogenannte „Friedensbewegung“ der Achtzigerjahre fordere, dass der Schutz der Zivilbevölkerung vor militärischen Angriffen Aufgabe des Staates ist und die gezielte Ausbildung der Menschen in Richtung gewaltfreiem Widerstand. Ja, das gibt es: Methoden, einem Gegner im Krieg die Freuden der militärischen Besatzung gewaltfrei zu nehmen. Und nur wenn eine Bevölkerung auf diese Form der Selbstverteidigung nicht hinreichend vorbereitet wurde, plädiere ich für den Einsatz defensiver Rüstungsgüter, also zum Beispiel Luftabwehrraketen. Auch die ernsthafte Befestigung von Grenzen würde ich in diesem Fall begrüßen.
Und drittens bin ich sehr dafür, alle möglichen Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um einer asymmetrischen Kriegsführung zu widerstehen, also nicht-militärischen Angriffen in Form von Sabotage auf die Energie-, Mobilitäts- und Digitalinfrastruktur vorzubauen. Und schließlich strukturiert der Propaganda möglicher Aggressoren mit allen Mitteln entgegenzustehen. Auf diesem Gebiet aktiv mitzuwirken, wäre ich jederzeit bereit.
Seitdem dieser Pistorius das Wort „kriegstüchtig“ öffentlich geäußert hat, rollt allerdings die Propagandamaschine der Kräfte, für die militärische Lösungen ganz normal sind. Und von denjenigen, die von der Kriegsvorbereitung wirtschaftlich profitieren, also den Lobbyisten der Rüstungsindustrie und denjenigen, die in Rüstungsunternehmen investiert haben. Geld in Firmen anzulegen, die Waffen und Munition herstellen, ist die vielleicht kapitalistischste Form Investition. Rüstungsgüter haben den Vorteil, dass sie zerstört werden, dass also immer mehr Waffen und Munition produziert wird. Dass Rüstungsunternehmen praktisch beliebige Preise aufrufen können, weil Staaten ihre einzigen Kunden sind. Und weil es immer noch eine technologische Rüstungsspirale gibt, veraltet militärische Gerätschaft automatisch, sodass neue Systeme entwickelt und produziert werden müssen. Rüstung ist ein völlig unproduktiver Industriezweig – so viel ist sicher.
Insofern ist mein Vulgärpazifismus doch politisch und durchaus antikapitalistisch gemeint. Mir ist bewusst, dass ich als Mann von 76 Jahren gut reden habe, betrifft mich das Gerede von der Kriegstüchtigkeit angesichts meiner wahrscheinlichen Restlebensdauer wenig. Mir bleibt nur, dagegen zu reden und zu schreiben. Und jungen Menschen, denen möglicherweise wieder der sogenannte „Wehrdienst“, der in Wahrheit ein Kriegsdienst ist, diesen zu verweigern. Jedenfalls wenn sie erkennen, dass jede Vorbereitung auf Krieg die Gefahr eines Krieges erhöht.