Kreuzfahrten – Episode 13: Thanksgiving 1998 auf Grand Cayman

Wir fühlten uns urlaubsreif. Schließlich waren wir bereits seit Saisonbeginn an Bord. Manni schlug vor, ein paar Tage auf Grand Cayman einzuschieben. Immerhin steuerte die AIDA zum ersten – und soweit ich weiß auch letzten – Mal den Hafen von George Town an. [Lesezeit ca. 6 min]

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Schließlich hatte uns Andreas, der im Jahr davor noch Küchenchef auf dem Schiff war, zum Thanksgiving-Dinner eingeladen. Er hatte die Leitung vom The Wharf übernommen, dem exklusivsten Restaurant der Insel. Wenn ich mich recht erinnere, kostete das Menü 400 oder 500 Dollar, und man musste ein Jahr vorher reservieren. Die AIDA ankerte auf der Reede vor der Stadt, und die Gäste wurden mit Tenderbooten an Land gebracht, wo die Immigration schon wartete und alle Ankömmlinge registrierte. Wie üblich setzten die Crew-Mitglieder zuletzt über, und als ich mit dem letzten Boot ankam, waren die Beamten bereits weg. Ich betrat Grand Caynman also ohne Zollkontrolle, war also nach Recht und Gesetz illegal an Land.

Das Restaurant selbst ist nicht besonders groß, aber draußen gibt es eine riesige, hölzerne Terrasse, die auf Pfählen über dem Meer schwebt. Andreas erzählte, dass es im Außenbereich fast fünfzig Tische gebe, davon mehr als die Hälfte runde Tafeln, die bis zu acht Personen Platz boten. An solchen Tischen saßen durchweg Großfamilien mit Eltern, Großeltern und Kindern. Einige der Familien, so Andreas, flögen jedes Jahr nur für dieses Dinner ein, um am nächsten Tag wieder heimzureisen. Man kann sich leicht ausrechnen, wie hoch die Kosten für einen solchen Ausflug waren. Außer den Familientischen gab es noch eine Anzahl Zweier-Tische, die, berichtete Andreas, meist von Jungverheirateten oder verlobten Pärchen gebucht würden. Einen solchen Platz direkt an der Brüstung hatte er uns zugewiesen. Man servierte das volle Programm: Stuffed Turkey mit allen Beilagen und zum Nachtisch Pumpkin Pie. Später las ich, dass einige Restaurantführer das Thanksgiving-Dinner von The Wharf zu einem der besten weltweit gekürt hätten.

Manni hatte uns ein Doppelzimmer in einem Hotel unweit des Hafens gebucht, sodass ich mit meinem Rucksack zu Fuß zu unserer Unterkunft schlenderte. Das Wetter war mild, so wie es im November in die Karibik immer ist. Und weil es Thanksgiving war, wollte ich mit unbedingt das traditionelle Spiel der Dallas Cowboys live sehen. Noch rechtzeitig fand ich bei meinem Rundgang durch die Anlage eine Poolbar, also eine Bar mitten in einem Pool, an der Mann auf Hockern sitzend die Füße im Wasser baden konnte. Ich fand einen Platz neben einer Gruppe von vier Typen, alle etwa Mitte Vierzig, von denen mich einer auch gleich ansprach. Er und seine Kumpels waren sehr überrascht, dass da ein Deutscher saß, der sich mit Football auskannte und Fan der Dallas Cowboys war. Die Jungs selbst kamen aus Chicago und bezeichneten sich als Anhänger der Bears. In der Partie selbst traf mein Team auf die Minnesota Vikings – und verlor am Ende deutlich. Alle vier Männer waren vom südländischen Schlag und trugen schwere, identische Ringe, und ich bin sicher, dass sie Mafiosi waren. Sie hielten mich frei. Nach den gut vier Stunden der Übertragung hatte ich sicher sieben oder acht karibisches Bier intus und war leicht angetrunken. Zum Abschied überreichte mit einer, der Joe Santini hieß, seine Visitenkarte und lud mich nach Chicago ein. Ich bin dort aber nie hingekommen.

Am nächsten Morgen wurde mir klar, dass Manni noch eine andere Sache erledigen wollte. Er hatte 5000 Dollar in Bar dabei und wollte ein Offshore-Konto einrichten, um das Geld an der Steuer vorbei zu bunkern. Also wanderten wir in den Ort und fanden eine Filiale der Barclays Bank. Wir waren deutlich falsch angezogen mit unseren Shorts und T-Shirts, Flip-Flops an den Füßen. Am Empfang saß ein älterer, dunkelhäutiger Herr in einer schicken Uniform, der fragte, wie man uns helfen könne. Er wolle ein Konto eröffnen, sagte Manni, und der Mann fragte ihn, um welchen Betrag es gehe. Nachdem mein Freund die Summe genannt hatte, ging er in die Schalterhalle – und kam nicht wieder zurück. Wir warteten mehr als eine Stunde, aber niemand kümmerte sich um uns. Wir waren sicher, dass der Betrag, den Manni anlegen wollte, einfach zu niedrig war, und zogen wieder ab.

Ganz in der Nähe unseres Hotels ging vom Cypress Point aus die Fähre über die Lagune zum Rum Point, an deren Nordküste die vermutlich teuersten Ferienhäuser der Insel stehen. Typisch Cayman: Hat man die zehn oder zwölf Dollar für die Überfahrt bezahlt, wird man auf der anderen Seite kostenlos bewirtet – was wir nicht wussten. Aber uns die andere Seite anzuschauen, hatte uns Andreas empfohlen. Rum Point auf Grand Cayman ist vielleicht einer der lässigsten Orte der Karibik. Am Strand stehen Liegestühle, zwischen den Palmen sind Hängematten aufgehängt und etwas weiter entfernt hat man ein gutes Dutzend Cabanas aufgebaut. Kaum hatte wir einen Platz mit wunderbarem Blick auf die Lagune gefunden, stand auch schon eine Kellnerin bei uns und fragte die Bestellung ab. Wir orderten Bier, und Manni fragte – wie es so seine Art war – was denn eine Flasche kostete. Nichts, sagte die Bedienung, alles hier am Rum Point sei gratis. Wir verbrachten entspannte Stunden am Strand, im Hintergrund lief ruhige Musik. Wir tranken Bier und Cocktails und aßen Steaks mit Fritten. Vor der Abfahrt der Fähre bummelten wir um die Ecke an die Nordküste. Dutzende mehr oder weniger großer Holzhäuser auf Stelzen mit Veranden standen da, aber kein Mensch war zu sehen. Als wir uns aber einem besonders schönen Haus näherten, empfing uns wütendes Hundegebell, und ein Typ in schwarzer Uniform mit zwei angeleinten Dobermännern kam uns entgegen. Wir hauten ab.

Abends wollte wir schnell Hamburger bei McDonald’s essen und fanden eine Filiale schräg gegenüber vom Hotel. An den Preisen wurde uns klar, wo wir gelandet waren, denn der Cheeseburger war schlicht doppelt so teuer wie auf dem amerikanischen Festland. Wir beschlossen den Tag an der Poolbar, an der ich am Vortag das Football-Spiel mit den Jungs aus Chicago verfolgt hatte.

Am nächsten Tag blieb uns noch Zeit für einen weiteren Ausflug. Dieses Mal fuhren wir mit dem Bus, in dem wir die einzigen Menschen heller Hautfarbe waren, hoch nach West Bay. Hier, hatte Andreas uns erzählt, könne man zu einer Fahrt mit dem Katamaran aufbrechen und mitten in der Lagune mit Stachelrochen schnorcheln. Tatsächlich gibt es hier mehrere Schwärme dieser Fische mit den giftigen Schwanzspitzen, die aber völlig zahm seien. Weil die Lagune zum Meer hin von einer durchgehenden Untiefe begrenzt ist, haben im Inneren schon immer Rochen gelebt. Irgendwann habe man begonnen, sie anzufüttern, und die Tiere haben sich daran gewöhnt. Der Katamaran ankerte und alle Gäste, ungefähr ein Dutzend an der Zahl, gingen mit Taucherbrillen und Badekleidung über Bord, ausgerüstet mit kleinen Futtersäcken, gefüllt mit kleingeschnittenem Tintenfisch. Der Guide lockte die Stachelrochen an, die uns nun umkreisten. unter uns und über uns schwammen, wobei es bei Rochen eher aussieht, als würden sie segeln. Ja, man könne sie anfassen, müsse nur darauf achten, den Stachel nicht zu berühren. Ich war etwa anderthalb Meter unter Wasser, da kam ein besonders großen Exemplar und schwebte direkt über mit. Ich streckte die Hand aus und berührte die Haut des Fisches, die sich anfühlte wie ganz feines Sandpapier. Ich fütterte den Rochen jedes Mal, wenn er nach einer Wende wieder zu mir kam.

Manni hatte einen Flug über Miami nach Santo Domingo gebucht, wo wir wieder auf die AIDA aufsteigen würden. Also machten wir uns am nächsten Morgen wieder mit dem Bus auf den Weg und waren rechtzeitig an der Passkontrolle im Owen Roberts Airport. Außer uns waren kein einziger Reisender da. Hinter dem Schalte saß ein riesengroße, sehr dicke schwarze Frau in Uniform, der wir unsere Tickets zeigten und die Pässe hinüberreichten. Mannis Dokument bekam den gewünschten Stempel. Aber bei meinem Pass wurde sie unruhig. Wann sind Sie denn eingereist, Sir? fragte sie. Ich finde keinen Einreisestempel. Ich beschrieb ihr, wie ich an Land gekommen war. Sie wurde immer ratloser. Sagte Dinge wie: Dann sind Sie ja gar nicht hier. Und murmelte immer wieder: Illegale Einreise. Dann bat sie um einen Moment Geduld und verließ ihren Arbeitsplatz. Nach gut zwanzig Minuten kam sie zurück. Wir machen es so, sagte sie, Sie sind soeben offiziell eingereist und werden dann mit dem Flugzeug ganz legal ausreisen. So kommt es, dass ich laut der Einträge in meinem Pass innerhalb von nur einer halben Stunden in die Cayman Islands ein- und wieder ausgereist bin.

Verrückt genug, dass außer Manni und mir nur weitere vier Passagiere an Bord der 767 nach Miami waren. Die Flugbegleiterin holte uns nach vorne, und wir genossen auf dem kurzen Flug den Komfort der Ersten Klasse. In Miami hatten wir vier Stunden Aufenthalt, durften den Airport aber mangels Visa nicht verlassen. Kaum eine Stunde nach dem Start landete wir in der Dominikanischen Republik und fuhren mit dem Taxi in den Hafen, wo die AIDA auf uns wartete. Dumm nur, dass Mannis Gepäck unterwegs verloren gegangen war und er seine Sachen erst eine Woche später beim nächsten Mal in Santo Domingo bekam. Also lief er sieben Tage in einer Jeans-Latzhose oder Schwimmshorts und Souvenir-T-Shirts an Bord herum.