Vom Rauchen

Meine erste Zigarette rauchte ich mit vierzehn. Ich war als Austauschschüler in England und besuchte die Woking Grammar School für Boys, die es heute nicht mehr gibt. Eine durch und durch traditionelle Schule in einem düsteren Backsteingebäude. Das Tragen eines Schulblazers während des Unterrichts war Pflicht, das Mittagessen wurde gemeinsam mit den Lehrern im Speisesaal eingenommen. Dazu zogen wir uns um; jeder hatte ein zweites Jackett im Spind, das nur beim Essen getragen wurde. Dieses absichtlich zu bekleckern, war verpönt, aber das Kleidungsstück nicht zu reinigen, auch wenn es mit Speiseresten versehen war, gehörte zur Tradition. Alle Jungs rauchten, außer denen in den untersten beiden Stufen. Aber spätestens mit zwölf hatte man in den Club der Raucher einzutreten. Ob das Paffen offiziell verboten war, weiß ich nicht; auf dem Schulhof gab es jedenfalls Raucherecken, die vom Lehrkörper gemieden wurden. [Lesezeit ca. 4 min] „Vom Rauchen“ weiterlesen

Die Anzüge meines Vaters

Manchmal denke ich darüber nach, was aus meinem Vater geworden wäre, hätte es den Zweiten Weltkrieg nicht gegeben. Als er 1947 nach mehr als fünf Jahren Kriegsgefangenschaft in den USA und in England nach Deutschland zurückkehrte, lag seine Zukunft vor ihm wie ein weites, leeres Feld. Was für die Nation eine Stunde Null nach der totalen Zerstörung war, muss ihm vorgekommen sein wie eine Zeit der unbegrenzten Möglichkeiten. Denn sein Klassenhintergrund spielte keine Rolle mehr. Er konnte alles werden, und so verstand er sich als Aufsteiger, als einer, der seine Vergangenheit als Arbeiterkind hinter sich lassen und zum Bürger der Mittelschicht werden konnte. [Lesezeit ca. 7 min] „Die Anzüge meines Vaters“ weiterlesen

Frühe Lektüre

John Steinbeck: Jenseits von Eden

Das ist das Buch „Jenseits von Eden“ von John Steinbeck, eine Auflage für einen Buchclub, in dem mein Vater Mitglied war. Es ist einer der ersten Romane, die ich gelesen habe. Das dürfte 1961 oder 1962 gewesen sein; ich war also acht oder neun Jahre alt und hatte keine Angst vor dicken Schinken, denn in diesen Kinderjahren habe ich auch „Früchte des Zorns“ von Steinbeck, „Onkel Toms Hütte“ von Harriett Beecher-Stowe und „Gullivers Reisen“ von Jonathan Swift gelesen. Alles keine ausgesprochenen Kinderbücher. [Lesezeit ca. 2 min] „Frühe Lektüre“ weiterlesen

Frühling in Minsk

Wir sehen eine junge Frau mit dunklem Haar und dunklen Augen im Sommerkleid im Kreis von fünf anderen jungen Frauen. Die Dunkelhaarige ist meine Mutter. Auf der Rückseite des Fotos steht nur: Hildburghausen 1941. Sie sieht fröhlich aus auf dem Bild, beinahe übermütig, und alle sechs Frauen scheinen getanzt zu haben. Wenn ich mich recht erinnere, hat meine Mutter erzählt, dass sie ihre Ausbildung zur Telefonistin dort bekommen hat. Nach allem, was ich recherchiert habe, dauerte diese Ausbildung sechs Monate. Danach wurde sie ins besetzte Minsk, der Hauptstadt Weißrutheniens, wie Belarus in der Nazizeit genannt wurde, eingesetzt. Es war für sie eine glückliche Zeit. [Lesezeit ca. 3 min] „Frühling in Minsk“ weiterlesen

Mahlzeit

Tante Meta und Onkel Martin waren geizig. Das sagten alle. Aber Onkel und Tanten kann man sich nicht aussuchen. Vor allem, wenn sie immer dabei sind. Und Tante Meta und Onkel Martin waren immer dabei. Wenn wir Oma besuchen fuhren, quetschten wir Kinder uns ins Auto. Onkel Martin saß vorne neben Vati, und einer von uns musste bei ihm auf dem Schoß sitzen. Das war sehr unangenehm. [Lesezeit ca. 3 min] „Mahlzeit“ weiterlesen