Mein Freund, der Mörder

Nach der Haftentlassung hat er den Mädchennamen seiner Frau angenommen. Eigentlich heißt er auch nicht Udo, so nenne ich ihn. „Heimtückisch“, sagte er, als er zum ersten Mal mit mir offen über seine Tat sprach, „ich kannte das Wort gar nicht, wusste nicht, was es bedeutet. Oder auch arglistig. Was heißt denn das? Musste mir mein Anwalt erst erklären. Und, ja, ich habe meine damalige Frau heimtückisch und arglistig umgebracht.“

Er musterte mich und wartete auf meine Reaktion. Wir kannten uns kaum, waren uns nur ein paar Mal beim Hundegang am Rhein begegnet und hatten dann auch kaum je über etwas anderes als die Hunde gesprochen. Sein Rüde hieß Sorvan und sah aus wie viele Straßenhunde in Moskau. „Ich hab ihn aus Wolgograd“, erzählte Udo, „persönlich mitgenommen.“ Sorvan hatte vor nichts und niemand Angst und war anderen Hunden gegenüber ausgesprochen dominant, wurde aber nie aggressiv. Andernfalls hätten wir die zwei wohl gar nicht kennengelernt, meine beiden sensiblen Windhunde und ich.

„Du hast also deine Frau ermordet“, antwortete ich.
„Meine zweite Frau“, korrigierte er.
„Warum?“ hakte ich nach.
Er setzte die Sonnenbrille auf, wandte sich ab und flüsterte: „Ich war ihr verfallen.“
Oha, dachte ich, ganz großes Kino.
Die Hunde standen still im Schatten am Weiher.
„Ich glaube dir nicht“, sagte ich nach einer Weile.
„Was glaubst du nicht? Dass ich sie ermordet habe? Oder dass ich ihr verfallen war?“
Ich gab keine Antwort. Spürte seine Wut. Wenn der aggressiv wird, dachte ich, wird es gefährlich.
Wir schwiegen lange.
„Und wenn’s nicht stimmt, ist es wenigstens eine gute Geschichte“, sagte ich leichthin.

Udo ist etwa so alt wie ich. Ein untersetzter Kerl mit einem massigen, rasierten Schädel. Früher sahen so Hooligans aus. Wir hatten gleich bei unserer ersten Begegnung vor ein paar Jahren einen Draht zueinander gefunden, ich betrachtete ihn beinahe wie einen Freund, obwohl wir bis dahin wenig voneinander wussten. Er hatte die Brille wieder abgenommen, und ich sah, dass er weinte.

„Ist keine Geschichte, ist die Wahrheit“, sagte er jetzt.
Und berichtete davon, wie er Helga kennengelernt hatte. Wie verliebt er war. Dass er wegen ihr seine Frau verlassen hatte. Anfangs sei sie liebevoll gewesen, zärtlich und aufmerksam. Aber nachdem sie zu ihm in sein Haus gezogen sei, hätten sich die Dinge nach und nach geändert. Sie habe begonnen, ihm Vorschriften zu machen.
„Ich durfte mich nicht mehr mit meinen Kumpels treffen. Und bald ließ sie mich gar nicht mehr allein aus dem Haus. Und wenn sie wegging, sperrte sie mich ein.“
„Und du hast dich nicht gewehrt?“, fragte ich.
Udo wischte sich über die Augen: „Ich wollte sie nicht verlieren. Dauernd hat sie damit gedroht, mich zu verlassen.“
„Sie zwang mich, mein Motorrad zu verkaufen. Und irgendwann gab sie den Hund weg.“

„Denn da, fragte ich und zeigte auf Sorvan, der jetzt bis zum Bauch im Wasser stand, während sich meine Hunde im Schatten hingelegt hatten.
„Nein, meine Hündin, ein unglaublich liebes Staff-Mädchen. Sie habe Angst vor dem Köter – so drückte sie es aus.“
Keine Ahnung warum, aber ich begann ihm zu glauben.
„Sie verlangte Vollmachten über meine Konten, und ich gab sie ihr.“
Was für eine Schlampe, dachte ich.
„Und dann verwehrte sie mir den Sex, das, was uns die ganze Zeit über zusammengehalten hatte. Mir ging es immer schlechter. Depressionen, weißt du.“
Ja, dachte ich, da hätte ich auch Depressionen bekommen.
„Ich musste mich befreien, das wurde mir klar, nachdem sie mich an Silvester eingesperrt hatte und allein mit anderen Leuten feiern ging.“

„Und als sie zurückkam, bist du wütend geworden, hast die Nerven verloren und sie erschlagen, richtig?“
„Nein“, sagte Udo, „ich machte einen Plan. Es sollte aussehen wie ein Unfall. Ich habe sie nicht im Affekt getötet – noch so eine Scheiß-Juristen-Formulierung.“
„Konkret?“, fragte ich.
Aber er gab keine Antwort, stand auf und pfiff Sorvan zu sich. „Muss los. Wir sehen uns. Bis dann.“ Und ging.

Mich ließ die Sache nicht los, ich wollte alles wissen. Musste Udo wieder treffen. Führte die Hunde nur noch am Park mit dem Weiher aus. Kam und ging zu verschiedenen Uhrzeiten. Aber Udo und Sorvan kamen nicht. Ich habe die beiden nie wieder gesehen.