Fetisch

Thibaud sah müde aus, resigniert, beinahe verzweifelt. Er hatte das Haar im Nacken zu einem struppigen Zopf gebunden und sah mich aus matten Augen an: “Manchmal wünsche ich mir. ich wäre süchtig oder hätte wenigstens einen Fetisch. Dann hätte ich ein Ziel, dem ich nachjagen könnte – den nächsten Schuss, die nächste Dosis, den nächsten Kick. Ich wüsste, wofür ich all mein Geld ausgeben könnte. Wozu ich überhaupt dem Geld nachjage dadurch, dass ich mich verkaufe.” Er nahm einen Schluck von dem saueren Wein, den uns die unfreundliche Bedienung in Wassergläsern auf den schmierigen Kneipentisch gestellt hatte. “Ein Hobby würde nicht reichen, dazu fehlt mir die Stupidität. Mich zehn Jahre lang in jeder freien Minute in einer öligen Garage unter einen Oldtimer zu legen, um dann am Tag der ersten Ausfahrt glücklich zu sein, kann ich mir nicht vorstellen.” Mir kam es vor, als habe er Tränen in den Augen gehabt bei diesem Satz. “Mein Gott, ein Glaube wäre auch nicht schlecht. Etwas auf das man alles projizieren kann: Wünsche, Hoffnungen, Schuld.”

Er hob den Kopf und starrte die nikotinfleckige Decke der düsteren Kneipe an. Mir war es peinlich, dass sich Thibaud derart im Selbstmitleid wälzte. Selbst wenn seine Gefühle echt waren und der Auftritt nicht pure Schauspielerei, so war er doch erbärmlich. Ich trank aus, legte einen Geldschein auf den Tisch und verließ ihn grußlos.

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