Ungeliebte Bürgersöhnchen

„Sie sind das Schlimmste in dieser Gesellschaft“, rief Thibaud, und wir ahnten, was kommen würde. Tatsächlich begann er einen Tirade gegen die Heuchler, die männlichen, die mit dem Silberlöffel im Maul geborenen, die sich um ihre Zukunft nicht sorgen müssen, ist ihnen ein Erbe doch sicher. „Und da rennen sie nun sinnlos rum, tun sinnlose Dinge, machen was mit Medien, mit Kommunikation oder mit Kunst, um sich ein unbürgerliches Gefühl zu geben. Denn im Grunde werden sie von ihrem schlechten Gewissen hin und her gezerrt. Dass sie vom Säuglingsalter an frei von materiellen Sorgen leben konnte, während andere strampeln und hampeln, um ein bisschen menschenwürdiges Leben zu ergattern. Deshalb werden sie dann Sozialdemokraten, die Bürgersöhnchen. Das beruhigt, weil sie sich auf der richtigen Seite wähnen. Denn neben dem schlechten Gewissen werden diese kleinen, nichtswürdigen Schwanzträger von der Angst gesteuert, die Unterschicht könnte sich gegen sie wenden, ihnen wehtun und etwas wegnehmen.

Das Haben ist ihnen enorm wichtig. In gesicherten Verhältnissen aufgewachsen haben sie nichts als emotionale Kälte kennen gelernt im Elternhaus, übertüncht durch großzügige Geschenke und eine Scheinliberalität, die ihnen jede Freiheit gewährte, aber auch keine Grenzen setzte. Alles was sie haben ist ihr Besitz. Sie schämen sich dafür und suchen ihn zu verstecken. Dabei besteht dieser Besitz bloß aus sinnlosen, funktionsfreien Dingen, die sie irgendwann zu sammeln begonnen haben – Oldtimer zum Beispiel. Und das sie ihr schlechtes Gewissen, dass sie jedes Jahr zehnmal mehr für ihre Sammlung ausgeben als eine Hartz-IV-Familie im gleichen Zeitraum bekommt, müssen sie sich und anderen scheinlogische Gründe in die Taschen lügen. Dass so ein altes Auto zu erwerben auch zum Erhalt eines Stücks Kultur beitragen. Wo sie doch nie erfahren haben, was Kultur überhaupt ist.

Ja, Angst haben sie. Angst vor der Wut der Besitzlosen. Deshalb lehnen sie nicht nur jede Form der Gewalt – außer der staatlichen, die ihnen nützt, weil sie ihren Besitz schützt – ab, sondern die Aggression als solche. Wer schimpft, so salbadern sie bei Bedarf, der sei unsachlich, der liefere keine Argumente und sei damit nicht glaubwürdig. Dabei sind sie es, die für ihre Schmarotzerexistenz keine vernünftigen Gründe haben. Und manche von ihnen erkennen dann irgendwann die eigene Nutzlosigkeit und beenden diese asoziale Existenz eigenhändig. Andere steigen aus, verschenken ihr Hab und Gut und gehen nach Afrika zu den armen Negern. Damit trachten sie, sich Seelenfrieden zu kaufen.
Aber den wird es nie finden, das Bürgersöhnchen, das ungeliebte. Im Gegenteil: So er sich nicht ausschließlich unter seinesgleichen bewegt, sondern auch auf die normale Welt stößt, wird er Prügel beziehen. Und seinen Besitz wird man ihm wegnehmen und anzünden und er wird nach einem starken Staat schreien, wo er doch eigentlich daran glaubt, dass jeder seines Glückes Schmied ist und jeder erreichen können, was er wolle, wenn er sich nur genug anstrenge, und der Staat solle sich raushalten. So kreuzt er bei Wahlen die Liberalen an, traut sich aber nicht, das zuzugeben.

Vor der Politik hat er auch Angst, denn Politik, das ist eine Kraft, die zu Veränderungen führen könnte, und Veränderungen will er ja nun gar nicht, denn ihm geht es ja gut. Also bricht er ständig ungefragt Lanzen gegen das Radikale. Er ist derjenige, für den alles, was nicht ist wie er selbst, radikal ist, weil potenziell wütend, also gewalttätig. So setzt er Links und Rechts gleich und merkt gar nicht, wie er so den Faschisten den Weg planiert, auf dem sie in die bürgerliche Mitte marschieren können. Er ist es, der Gewalt nicht differenzieren mag als Gewalt gegen Dinge – denn die sind sein Besitz – und Personen. Er ist es, der Wutausbrüche gegen seinesgleichen für Mordaufrufe hält.
So lebt er in ständiger Angst und versucht sich mit Konsum und Besitz zu betäuben. Es wird ihm Zeit lebens nicht gelingen.“

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