Monolog über die Gerechtigkeit

Der folgende Text ist Thibauds Monolog über die Gerechtigkeit wie ihn Ulla aus dem Gedächtnis aufgezeichnet hat. Sie erzählte, er habe vor seinem PC gesessen wie ihmmer, den Bürostuhl auf maximaler Höhe, sodass nur die Fußspitzen den Boden berührten, sehr aufrecht, die Hände unbeweglich auf der Tastatur ruhend und den Blick fest auf das Display geheftet. Er habe zunächst sehr bedächtig gesprochen, sich dann aber in eine wütende Rede gesteigert, die in einem langen Schrei geendet sei. Die ersten beiden Sätze habe sie nicht gehört und nicht aufschreiben könne; sie habe diese aber entsprechend des ürbigen Monologs ergänzt. Ich bin der Meinung, Ulla hat sich diese ersten Sätze ausgedacht, ja, vielleicht hat sie sich das alles nur ausgedacht, um diese Aussagen zu rechtfertigen, mit denen sie uns so beeinflussen will, wie Thibaud das sonst tut.

“Was alle Menschen wollen, ist Liebe und Frieden. Auch ich will ein ruhiges, gleichförmiges, harmonisches Leben in Gelassenheit. Es sind die Arschlöcher, die mich daran hindern. Nun gibt es Menschen, die sich meine Freunde nennen, eine Frau an meiner Seite, die sich als meine Partnerin versteht. Und diese Menschen machen sich Sorgen um mich, weil sie meinen, ich würde meiner Gesundheit schaden, wenn ich mich ständig aufrege, wenn ich dauernd gegen etwas ankämpfe. Ich sage euch, was ich brauche: Gerechtigkeit! Es soll so sein, dass ich, diejenigen, die mir nahestehen und überhaupt alle Menschen gerecht behandelt werden. Dass jeder mit jedem fair umgeht, dass sich keiner einen Vorteil verschafft, indem er jemand anderem schadet. Versteht ihr? Straßenverkehrsordnung, Paragraph 1! Kant!! Und so ist die Welt nicht!!! Sie ist voller Arschlöcher, die nicht mehr verdient haben als ein langes Leiden und einen qualvollen Tod. Ui, hör ich euch seufzen, soooo darf man aber nicht über Menschen reden. Menschen? Wer sich wie ein Arschloch verhält, ist ein Arschloch, kein Mensch, und verdient es, wie ein Arschloch behandelt zu werden. Wie Ungeziefer. Da soll ich gelassen bleiben? Sachlich womöglich. Wisst ihr was? Ich scheiße auf die Sachlichkeit, weil ich voller Zorn bin. Zorn ist gut, nicht böse. Ungerechtigkeit ist böse. Ich scheiße desweiteren auf eure bürgerlichen Werte. Ich scheiße auf gutes Benehmen. Wozu dient es? Dass sich der Bourgeoise vom Proleten abheben kann. Dass der Prolet meint, das Bürgerliche sei kultivierter. Dass er sich müht, bürgerlich zu werden. Dass so seine Wut abklingt, dass er domestiziert wird und keinen Widerstand mehr leistet. Da bin ich doch lieber Prolet wie mein Vater und mein Großvater. Da kotzt ich meine Wut aus. Da pisse ich auf die Gräber der Reichen und Mächtigen. Da nenne ich ein Arschloch ein Arschloch. Und daran kann mich nichts und niemand hindern. Und wenn ihre wirklich meine Freunde wärt, dann würdet ihr mir nicht nur beipflichten, dann würdet ihr euch auch auf eure Herkunft besinnen und dann würdet ihr meine Gefährten im Kampf gegen die Arschlöcher!”

Dann, so berichtet Ulla, habe er den Brieföffner aus dem Bierkrug gezogen, den er zur Aufbewahrung von Schreibgeräten nutzt, und ihn mit der Rechten durch den Rücken seiner linken Hand gestoßen. Es habe nur wenig geblutet, sagt Ulla.

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