Delikatessen

In jenen Tagen wurde es Thibaud langweilig. Er rief mich an und fragte, was ich ihm als Gegenmittel empfehlen könnte. Natürlich schlug ich verschiedene Vergnügungen und Zerstreuungen vor, aber er beharrte darauf, dass es etwas sein müsse, was er unter normalen Umständen niemals als Aktivität ins Auge fassen würde. Ich vergass die ganze Angelegenheit und hörte über mehrere Wochen nichts von Thibaud. [Lesezeit ca. < 1 min] „Delikatessen“ weiterlesen

Badewanne

Als wir alle am Tag nach Thibauds angeblichem Tod in der ehemaligen Mensa beisammen saßen, müde und traurig, und Tee tranken, wollte natürlich jeder von einem persönlichen Erlebnis mit ihm berichten. Auch Eric fing mit einem “Wisst ihr noch…” an, brach aber ab und lachte laut auf. Nur Sue erzählte gefasst und lückenlos von dem Tag als Thibaud morgens in die Badewanne gestiegen war und nach vierzehn Stunden immer noch darin saß und dann erstmals quer durchs Haus nach ihr rief. [Lesezeit ca. 2 min] „Badewanne“ weiterlesen

Mechanik

Eines Tages fuhr Thibaud auf einem Motorrad vor. Jill hatte gerade Männertreu am Rande des Steingartens gesetzt, während ich am Zaun arbeitete. Die Maschine war nicht sehr groß, aber laut. Thibaud trug schwarzes Leder und einen altmodischen Helm mit Stofflappen, die seine Ohren bedeckten. Er bockte das Motorrad am Bordsteinrand auf und kam in den Garten. Dort nahm er den Helm ab und grinste uns an. Jill wischte sich die Hände an der Schürze ab und kam zu uns. [Lesezeit ca. < 1 min] „Mechanik“ weiterlesen

Substanzen

Auch nach dem Essen wollte uns Thibaud nicht verraten, welche Zutaten er verwendet hatte. Wir saßen immer noch zu zehnt am Buchentisch und schmeckten dem Gericht nach, dass er für uns zubereitet hatte. Eileen spürte es zuerst. Ich blickte genau in diesem Moment eher zufällig in ihre Augen und sah die Pupillen auf Stecknadelkopfgröße zusammenschrumpfen. Sie kicherte zweimal kurz und hysterisch. Am anderen Ende des Tisches stimmte Helmut ein altes, niederösterreichisches Volkslied an, und Yoo-Yin zog sich das gelbe T-Shirt über den Kopf. Mir ging es gut, auch wenn mich die handtellergroßen Kampfflugzeuge irritierten, die zwischen den Tellern und Schüsseln landeten und wieder starteten. [Lesezeit ca. < 1 min] „Substanzen“ weiterlesen

Kurzschluss

In den späteren Jahren fand man Thibaud nur noch auf der Veranda, die er zu einem Hightech-Wintergarten hatte umbauen lassen. Filmbilder flimmerten dort frei im Raum, Musik empfing er drahtlos und ohne Umweg über Lautsprecher oder Kopfhörer mit dem Wifi-Chip hinter der rechten Schläfe. Ein Nachbar hatte uns angerufen und sich sehr besorgt gezeigt, weil Thibaud sich seiner Beobachtung nach seit Tagen nicht mehr aus dem Sessel hinter den hohen Scheiben bewegt hatte. [Lesezeit ca. < 1 min] „Kurzschluss“ weiterlesen

Trepanation

Nach nächtelangen Diskussionen hatten wir schließlich eingewilligt. Thibaud hatte uns zwar nicht überzeugen können, aber sein Wunsch nach der Trepanation war so groß, dass wir es mehr und mehr als Freundespflicht empfanden, den Eingriff an seinem Schädel auszuführen. [Lesezeit ca. 2 min] „Trepanation“ weiterlesen

Blind

“Es ist auch ein Vorteil blind zu sein”, sagte Thibaud, der mit vierzig sein Augenlicht bei einem Unfall verloren hatte, “man muss nichts mehr sehen.” Er legte mir die Hand auf den Unterarm: “Wenn es still ist, dann sehe ich Bilder aus meinem Lebens – Szenen meiner Kindheit, meiner Jugend und der Kampfzeit. Wie ein alter Mann, der sich ein Photoalbum anschaut.” Thibaud drehte sein Gesicht dem Fenster zu, das mir einen Blick auf den hellgrauen Herbsthimmel bot, und fuhr fort: “Die alten Aufnahmen werden immer schärfer je länger ich blind bin, die Tonspur verstummt, und ich muss nicht mehr denken, was ich dachte als die Ereignisse stattfanden.” [Lesezeit ca. < 1 min] „Blind“ weiterlesen