Mahlzeit

Tante Meta und Onkel Martin waren geizig. Das sagten alle. Aber Onkel und Tanten kann man sich nicht aussuchen. Vor allem, wenn sie immer dabei sind. Und Tante Meta und Onkel Martin waren immer dabei. Wenn wir Oma besuchen fuhren, quetschten wir Kinder uns ins Auto. Onkel Martin saß vorne neben Vati, und einer von uns musste bei ihm auf dem Schoß sitzen. Das war sehr unangenehm. [Lesezeit ca. 3 min]

Sie lebten in einer winzigen Einzimmerwohnung ohne Bad und Toilette. Dafür hatten sie einen Schlüssel von den Nachbarn. Der hing an einem Haken neben der Tür. Und wenn wir zu Besuch bei Tante Meta und Onkel Martin waren und mal mussten, nahmen wir den Schlüssel und gingen bei den Kowalskis aufs Klo.

Als ich noch nicht in die Schule ging, brachte Mutti mich oft bei den beiden unter. Da blieb ich dann zwei, drei Tage und schlief auf dem Sofa in der Küche. Morgens machte die Tante mit Klappstullen mit Margarine und einer hauchdünnen Schicht Vierfruchtmarmelade. Dann gingen wir auf den Balkon, von dem aus man auf eine Werkstatt im Hinterhof sehen konnte, und machten zusammen mit den Arbeitern Frühstückspause. Ich winkte den Männern zu, die draußen auf Reifenstapeln saßen und ihre Brote aßen.

„Heute mach ich dir was Besonders zu Mittag,“ sagte Tante Meta beinahe jeden Tag. Und ich wusste, was kommen würde. Schokoladensuppe nannte sie eine ihrer Spezialitäten. Dabei rührte sie Puddingpulver mit heißem Wasser an. So konnte sie aus einem Tütchen eine Menge Suppe machen. Und weil Sahne viel zu teuer war, setzte sie als Krönung Tupfen von steif geschlagenem Eiweiß oben auf.

Schlimm war ihre Sauerampfersuppe, von der sie immer erzählte, das sei in Ostpreußen ihre Lieblingsspeise gewesen. Später fand ich heraus, dass sie auch bei diesem Gericht viel Geld sparte, weil sie den Sauerampfer im Park um die Ecke selbst pflückte.

Da war ich doch lieber bei Onkel Erhard und Tante Grete, die ebenfalls nicht weit entfernt wohnten. Denn Tante Grete war eine gelernte Köchin. Onkel Erhard besaß den ersten Fernseher im gesamten Familien- und Freundeskreis der Eltern. Manchmal gingen mein Bruder und ich nachmittags hin, um Lassie zu gucken oder Sport, Spiel, Spannung.

Dann bereitete Tante Grete uns jedes Mal einen Imbiss zu. Hühnchensalat mit Mandarinen und einer von ihr selbst angerührten Majonäse auf Toast gab es. Oder kleine Frikadellen mit Kartoffelsalat. Panierte Schnitzel. Nudelaufläufe. Vanillepudding, für den sie keine Pulvertütchen brauchte.

Jeder Tag bei Onkel Erhard und Tante Grete war ein Fest. Auch, weil Mutti keine gute Köchin war. Sie hatte es nie gelernt. Und weil man gute Butter nur an Festtagen verwendete, briet sie grundsätzlich alles in Margarine an. Und neigte dazu, die Zwiebeln darin zu kleinen schwarzen Krümeln zu verbrennen. Suppen entstanden immer auf der Basis aufgelöster Brühwürfel. Und wenn ich an ihren gekochten Fisch denke, der in einer schleimigen, weißen Soße schwamm, wird mir heute noch übel.

Später lernte ich das Kochen von meiner Schwägerin Christa, die eine ebenso begnadete Köchin war wie Tante Grete. Allein schon ihre Spiegeleier. Die kochte sie ganz sanft in einem See geschmolzener Butter. Sie benutzte Gewürze, von denen ich zuhause nie gehört hatte.

Dann übernahmen Christa und ihr Mann Jupp ein Hotel mit angeschlossenem Restaurant drüben im Bergischen. Wir verbrachten beinahe jedes Wochenende dort, und ich stellte mich gern als Küchenhilfe zur Verfügung. Von Christa habe ich den Umgang mit einem Kochmesser gelernt, wie man es anfasst und wie man damit schneidet. Sie brachte mir bei, wie man selbst Brühe und Fond zieht und was der Unterschied zwischen Braten, Schmoren und Kochen ist.

Einige Jahre später erkrankte Mutti an Krebs. Da war sie schon Witwe und lebte allein. In ihrem letzten Lebensjahr, sie war geschwächt der Chemotherapie, kümmerte ich mich täglich um sie und kochte ihr jeden Tag eine Mahlzeit. Ich weiß nicht genau, ob ich es absichtlich tat, aber ich entschied mich durchweg für Gerichte, die sie uns als Kinder vorgesetzt hatte. Und hatte den Ehrgeiz, das Essen richtig zu kochen und mit besten Zutaten. Heute denke ich manchmal, ich habe mich so an ihr für die fürchterlichen Mahlzeiten in meiner Kindheit gerächt.