Oft kam es mir so vor, als täte Thibaud alles, nur um uns zu beeindrucken. Jede seiner überraschenden Wendungen erschien uns zu spontan, zu unlogisch und zu radikal, als dass sie keiner Strategie folgen würde. Neulich trafen wir ihn zufällig im Café Zentral, wo er an einem Einzeltisch saß und etwas mit dem Bleistift in ein schwarz gebundenes Notizbich schrieb. Er trug ein Tweed-Sakko, das wir noch nie an ihm gesehen hatten, eines mit Lederflicken auf den Ellenbogen, dazu ein zerknittertes, dunkelblau gestreiftes Hemd. Im Aschenbecher qualmte ein Zigarette, vor ihm stand ein Glas Rotwein. Zilla sprach ihn an. Thibaud blickte kaum auf und bedeutete uns, sich zu ohm zu setzen. Dann blickte er auf und sagte: “Ihr seht, ich schreibe wieder. Um mir das zu ermöglichen, habe ich meinen Computer fortgeworfen.” Hanshubert starrte ihn ungläubig an: “Den neuen iMac?” Thibaud lächelte ihn an und bestätigte: “Ja, den brandneuen iMac.” Auch ich war erstaunt, hatte sich Thibaud doch bisher als jemand erwiesen, der jede technische Neuerung begeistert angenommen und zu nutzen versucht hatte. Ja, er hatte uns alle von tragbaren Mp3-Playern überzeugt, von LCD-Fernsehern, Digital-Kameras und Multifunktions-Handys. Wir hatten angeschafft, was er empfahl.
Und nun saß Thibaud da und schrieb von Hand auf Papier. “Ich habe erkannt”, begann er seine Erklärung, “dass jedes technische Hilfsmittel der Kommunikation und Kreation letztlich einen Verhinderungsmechanismus beinhaltet. Denn in der ersten Phase ist es nötig, sich mit den Möglichkeiten und der Bedienung vertraut zu machen, dann kämpft man mit den Fehlfunktionen und Defekten und zuletzt bewegt man sich nur noch im minimalen Rahmen dessen, was das Gerät jederzeit und fehlerfrei zulässt. Dies gilt besonders für das Schreiben von Gedichten und Novellen.” Wir nahmen das hin als eine der üblichen Launen unseres Lehrers. Aber er fuhr sehr ernst fort: “Texte entstehen nur aus Zorn oder Trauer. Beides sind sehr unmittelbare Gefühle, die nur über den direkten körperlichen Einsatz auszudrücken sind. Was ich derzeit schreibe, kann ich nur von Hand schreiben mit dem Bleistift. Nur so kann ich jederzeit Spuren im Text hinterlassen: durchstreichen, einfügen und ausradieren. Daheim sehe ich dann das Entstehen der Worte, Zeilen und Absätze und übertrage, was ich akzeptiere, per Schreibmaschine auf Papier. Nur so kann ich neue Worte, neue Schreibweisen erfinden und erproben.”
Mir war klar, dass dieser Vortrag Zilla tief beeindrucken würde, dass sie ihre Digitalkamera nie wieder anrühren und stattdessen zur alten Spiegelreflex greifen würde. Hanshubert dagegen würde weiter mit Photoshop arbeiten. Ich war unentschieden und beschloss, wieder einen Skizzenblock anzuschaffen.