In den späteren Jahren fand man Thibaud nur noch auf der Veranda, die er zu einem Hightech-Wintergarten hatte umbauen lassen. Filmbilder flimmerten dort frei im Raum, Musik empfing er drahtlos und ohne Umweg über Lautsprecher oder Kopfhörer mit dem Wifi-Chip hinter der rechten Schläfe. Ein Nachbar hatte uns angerufen und sich sehr besorgt gezeigt, weil Thibaud sich seiner Beobachtung nach seit Tagen nicht mehr aus dem Sessel hinter den hohen Scheiben bewegt hatte. [Lesezeit ca. < 1 min] „Kurzschluss“ weiterlesen
Trepanation
Nach nächtelangen Diskussionen hatten wir schließlich eingewilligt. Thibaud hatte uns zwar nicht überzeugen können, aber sein Wunsch nach der Trepanation war so groß, dass wir es mehr und mehr als Freundespflicht empfanden, den Eingriff an seinem Schädel auszuführen. [Lesezeit ca. 2 min] „Trepanation“ weiterlesen
Blind
“Es ist auch ein Vorteil blind zu sein”, sagte Thibaud, der mit vierzig sein Augenlicht bei einem Unfall verloren hatte, “man muss nichts mehr sehen.” Er legte mir die Hand auf den Unterarm: “Wenn es still ist, dann sehe ich Bilder aus meinem Lebens – Szenen meiner Kindheit, meiner Jugend und der Kampfzeit. Wie ein alter Mann, der sich ein Photoalbum anschaut.” Thibaud drehte sein Gesicht dem Fenster zu, das mir einen Blick auf den hellgrauen Herbsthimmel bot, und fuhr fort: “Die alten Aufnahmen werden immer schärfer je länger ich blind bin, die Tonspur verstummt, und ich muss nicht mehr denken, was ich dachte als die Ereignisse stattfanden.” [Lesezeit ca. < 1 min] „Blind“ weiterlesen
Mit nem Ei im Mund
Mit nem Ei im Mund
„Mit nem Ei im Mund um den Block rennen! Wetten, ich kann das?“
„Klar kannste das.“
„Wetten? Wetten?“ Siggi hüpft vor Horsti auf und ab.
„Warum soll das nicht klappen?“ sagt Horsti mit schiefem Gesicht.
„Mensch! Mit nem Ei im Mund! Was wettest du?“ [Lesezeit ca. 44 min] „Mit nem Ei im Mund“ weiterlesen
Die Zeiten sind
Vorspann
Am Anfang war der Faden. Und der Faden war rot und er zog sich ganz hindurch durchs Leben. Wir sollten beim Erzählen den Faden nicht verlieren, sagt Susanne, sondern die Geschichten behandeln wie Perlen und auffädeln.
Kämm dir doch die Fransen aussem Gesicht, ja, das sieht definitiv scheiße aus. Keine Diskussion. Woher ich das Recht nehme? Aus meinem ästhe-tisch-moralischen Grundwertevorrat, du Flachwichser. Nein, ich bin nicht besoffen, ich hab, genau wie du, fünf Jackie-Cola intus. Das macht mir gar nix, wie du wissen solltest. Und was soll eigentlich diese präpotente Jacke, hä? Mit diesem lächerlichen Heavy-Metal-Zeichen auffem Rücken und den versilberten Knöpfen… Wie alt bist du denn? Willst du nicht irgend wann mal die Kurve kriegen? Okay, okay, du bist aus vollem Herzen Taxifahrer. Ja klar, und meine Tante ist auch n schöner Mann. Warst ja auch aus Über-zeugung Kurierfahrer. Und Kellner. Und und und. Du glaubst das und sonst keiner. Ich sag dir was: du lügst dir schon seit zig Jahren in sämtliche Taschen, du Loser. Und jetzt hör auf mit dem Debattieren, es gibt Geschichten zu erzählen, Gedanken zu denken, Stimmen zu hören. [Lesezeit ca. 14 min] „Die Zeiten sind“ weiterlesen
Bier und Ei
(Getting-Old-Senior-Club-Mix 1999)
Samira wischt die Theke, umkreist Kopf und Arme vom alten Körnewig, der nicht wirklich schläft, sondern sie nur provozieren will. Wartet darauf, dass sie sagt: Hey, sie können hier nicht pennen. Dann würde er langsam den Kopf heben, sie ansehen, sich an ihren krähenschwarzen Glanzaugen freuen und sagen: Tu ich doch nicht, ruh mich bloß aus und denk ein bisschen nach. Deshalb sagt sie nichts. [Lesezeit ca. 5 min] „Bier und Ei“ weiterlesen